Der Simulator
gegen das Vorgehen der Polizei protestierten. Die Stimmung war explosiv, jederzeit konnte die Situation außer Kontrolle geraten.
Arm in Arm schlenderten wir durch die Gesichtskontrollen, dann ging es ein langes Stück die Peterstaler Straße hinauf. Hier war es ruhig, nur vereinzelt patrouillierten ein Streifenwagen oder ein Sinex-Sicherheitsfahrzeug.
Wir liefen schweigend, jeder schien den eigenen Gedanken nachzuhängen.
Es war ungefähr auf halbem Wege, als ich ihn schließlich spürte. Es war nicht so schlimm wie etliche Male zuvor, doch auch jetzt stieg Übelkeit in mir auf. Der Druck in meinem Kopf nahm plötzlich zu, schien sich von innen nach außen zu verteilen, so als sei er leibhaftig im Mittelpunkt meines Gehirns materialisiert. Aber das war natürlich Unsinn, nur eine Begleiterscheinung der herbeigeführten Phasenverschiebung.
Samantha musste etwas bemerkt haben, denn sie sah mich prüfend an. Ich schüttelte den Kopf. Sie brauchte es nicht zu wissen, noch nicht.
Das war meine Chance. Ich musste den großen Steuermann überzeugen, dass es noch eine Möglichkeit gab, meine Welt zu retten, ein letzter verzweifelter Versuch, der es aber Wert war, unternommen zu werden. Was hatte er schon zu verlieren? Eine halbe Stunde, eine ganze.
Würde er mich selbst in jedem Fall vernichten, es musste in seinem ureigenen Interesse liegen, den großen Simulator vor der Abschaltung zu bewahren. Er war sein Werk, und mit etwas Glück konnte ich die Arbeit von einem Jahrzehnt retten. Das war mein Angebot.
Marc , dachte ich so intensiv wie möglich, ich weiß, dass du mich hörst. Als sich nichts tat, fügte ich hinzu: Ich weiß, wer du bist, wer ich bin. Jetzt meinte ich ein Lachen zu vernehmen, ein Ausdruck großer Belustigung. Ich kann die Welt retten, den Simulator. Ich kann deine Arbeit retten. Wieder lachte er, lauter diesmal, dröhnend in meinem Kopf.
Und dann schilderte ich ihm meinen Plan, einen verzweifelten Plan, der aber dennoch aufgehen konnte. Ich ging alle Einzelheiten durch, alle Eventualitäten, wohl wissend, dass ich ihm sowieso nichts vorenthalten konnte.
Eine Antwort gab er mir nicht, doch er zog sich zurück. Die unangenehmen Begleiterscheinungen der Aufschaltung ließen nach. Doch er war nach wie vor da, war nach wie vor in meinem Kopf. Vielleicht ließ er mir freie Hand und beschränkte sich darauf, die kommenden Ereignisse aus meiner Perspektive zu beobachten.
Nur als ich ihm sagte, Samantha habe sich entschlossen, in meiner Welt zu bleiben, entlockte ich ihm eine Reaktion. Zunächst spürte ich seine Überraschung, mit einer kleinen Verzögerung dann seine Freude. Ich wollte mir nicht ausmalen, an was er dachte.
Das Sinex-Hochhaus war von einem dichten Kordon aus Polizei und hauseigenen Sicherheitskräften umgeben. Jeder, der hineinwollte, wurde kontrolliert. Ich sah, wie man ein verspätetes TriVid-Team erst nach eingehender biometrischer Prüfung einließ.
Einige Demonstranten waren bis hierher vorgedrungen, aber es waren wenige, und so hielten sie sich zurück. Nur vereinzelt erklangen Rufe und Parolen.
Auch wir hielten uns im Hintergrund. Es bestand die Gefahr, dass mich jemand erkannte. Kaum anzunehmen, dass mein Erscheinen eine freundliche Aufnahme fand. Wie erwartet, war es unmöglich, auf normalem Wege ins Haus zu kommen.
So zog ich mein Messer. Ich hatte auf unserem Weg durch den Frühstücksraum des Hotels das Brotmesser an mich genommen. Es war nicht besonders scharf, dafür aber lang und imposant. Genau das richtige Mittel für das, was ich vorhatte.
Ich hielt es Samantha an die Kehle und stieß sie zum Eingang. »Durchlassen«, brüllte ich, »eine falsche Bewegung, und ich schneide ihr die Kehle durch.«
Die Menschen um uns wichen zurück. Einige schrien. Langsam ging ich auf die große Drehtür zu, weiterhin Drohungen ausstoßend. Jemand erkannte mich. Ich hörte meinen Namen, hörte, wie man Samantha als Blinzles Tochter bezeichnete.
Doch niemand widersetzte sich mir. Zu groß war die Überraschung. Weder unser eigenes Personal noch die Polizisten wussten, was zu tun sei. Vorgesetzte waren weit und breit keine in Sicht, und die einzelne Sicherheitskraft war auf eine Geiselnahme vermutlich nicht vorbereitet.
Samantha war steif geworden, als sie realisierte, was ich vorhatte. Doch sie leistete keinen Widerstand. Vielleicht war sie wirklich erschrocken, so dass sie den verängstigten Gesichtsausdruck nicht zu spielen brauchte. Sie gab jedenfalls eine überzeugende
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