Der Sixtinische Himmel
Nacktheit lehnte sie sich gegen den Teppich, drückte ihre Brüste und ihre Hüfte in das Gewebe. Der Abstand zwischen ihrem und Aurelios Körper schnurrte auf eine Handbreit zusammen. »Ich wünschte nur«, fuhr sie fort, während sie sich langsam von der Vorder- auf die Rückseite drehte, »Alexander hätte nicht sich selbst darin porträtieren lassen, sondern« – ihre Rundungen schmiegten sich noch tiefer in das Gewebe – »einen schönen Jüngling. Mit schwarzen Locken, unergründlichen Augen und dem Körper eines Adonis.«
Allmächtiger! Sie wusste es, musste es wissen. Aphrodite wusste, dass sie beobachtete wurde und dass Aurelio es war, der sich hinter dem Wandbehang verbarg. Atemlos wich er zurück.
»Zeitverschwendung«, hörte er Michelangelo sagen, der sein Skizzenbuch zusammenklappte. »Heute kommen wir nicht weiter.«
Im nächsten Augenblick klopfte es an der Verbindungstür zum Nachbargemach. Eine gedämpfte Stimme war zu vernehmen: »Herrin!«
Aurelio erstarrte vollends.
Aphrodite löste sich vom Wandbehang: »Was gibt es?«, fragte sie durch die Tür.
»Der Heilige Vater!«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist hier!«
»Schnell«, zischte Aphrodite, doch Michelangelo war bereits aufgesprungen.
Aurelio konnte im allerletzten Augenblick seine Laterne löschen und sich hinter der halbgeöffneten Tür gegen die Steinmauer drücken, als hastig der Teppich bewegt wurde, sein Meister mit einer Fackel in der einen und seinem Skizzenbuch in der anderen Hand im Laufschritt an ihm vorbeihastete und die Stufen zur Katakombe hinabeilte. Einen Moment lang hörte er noch Michelangelos Schuhe auf den Stufen, und der Aufgang wurde vom Widerschein der Fackel erhellt, dann waren die Tritte verhallt und das Licht erloschen.
Dunkel umfing Aurelio. Lediglich ein spärlicher Lichtstreifen glomm unter dem Teppich. Sein Atem ging wie der eines gehetzten Hundes.
Die Tür zu Aphrodites Gemach wurde unsanft aufgestoßen. Ein warmer Luftzug kroch unter dem Teppich hindurch.
»Geliebter Gebieter!« Aphrodites Überraschung war wenig glaubhaft.
»Du bist ja nackt!«, rief Julius.
»Wie sehr ich Euren Scharfsinn bewundere«, antwortete Aphrodite mit zärtlicher Herausforderung in der Stimme.
»Mir ist nicht nach Scherzen«, stellte Julius fest. »Weshalb läufst du nackt in deinem Gemach herum?«
»Ich habe an Euch gedacht und mich gefragt, wann Ihr endlich kommen werdet, und da … ist es passiert.«
»Was ist passiert?«
Aurelios Füße tasteten sich an den Teppich heran. Nur der Wandbehang trennte ihn noch von dem sicheren Tod. Er führte sein Auge an die Öffnung. Julius trug einen nachtblauen, mit Goldfäden durchwirkten Umhang aus schwerem Samt. Die Ränder waren mit einem Hermelinbesatz verbrämt. Sein Gesicht, sein gesamter Körper war von Sorge zerfurcht. Aphrodite bewegte sich schwerelos über das Steinmosaik, bis sie vor dem Papst stand. So wie sie eben ihre Hände auf den Teppich gelegt hatte, legte sie sie nun auf Julius’ Brust.
»Meine Kleider … Plötzlich lagen sie auf dem Boden.« Sie ließ eine Hand unter Julius’ Umhang gleiten.
Mit einer Bewegung, die von außerhalb seines Körper in ihn hineinzufahren schien, stieß Julius sie von sich weg. »Zieht Euch an«, befahl er. »Ich habe andere Sorgen.«
Durch seine Abweisung wuchs Aphrodite erst zu völler Größe. Mit jedem Fingerbreit ihres Körpers forderte sie ihn heraus. »Welcher Art?«, fragte sie, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, sich anzuziehen.
Julius wandte sich ab, als müsse er sich vor ihrem Anblick schützen. »Ludwig«, grollte er, »die Barbaren.«
Aurelio sah, was der Papst nicht sah: wie Aphrodite die Augen verdrehte und den Blick gelangweilt zur Decke richtete. »Gibt es Neuigkeiten?«, fragte sie mit geheucheltem Interesse.
»Das ist es ja, was mich beunruhigt: nichts. Keine Nachrichten. Die Ruhe vor dem Sturm. Wenn ich nachts aus meinem Gemach über die Stadt blicke, dann spüre ich, wie dieser Popanz näher kommt. Ich kann ihn fühlen – wie einen Fluch.«
Katzenartig trat Aphrodite erneut an Julius heran, schlang von hinten ihre Arme um seine Taille, schmiegte sich an ihn und legte ihr Kinn auf seine Schulter. Sie überragte den Papst um etwa einen Fingerbreit, wie Aurelio bemerkte. Diesmal stieß er sie nicht von sich weg.
»Ist es Gottes Wille, dass ich Italien vom Joch der Franzosen befreie?«, überlegte er, den Blick zur Wand gerichtet.
»Das fragt Ihr mich?«
Langsam drehte er sich um, ergriff sie
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