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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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ab. »Diese Unterhaltung führt nirgendwohin«, sagte er schließlich.
    Vor Erregung begann Aphrodites Körper zu vibrieren. Im Schein der Kerzen flammten ihre langen, schwarzen Haare auf. Ein glänzender Film trat aus ihren Poren auf die matt schimmernde Haut. Aurelio meinte, ihren Geruch wahrzunehmen, der ihm süß und bitter zugleich in die Nase stieg und sich von dort wie ein Lauffeuer über seinen Körper ausbreitete und alles verschlang, was einen Augenblick zuvor noch existiert hatte. In diesem Moment verbrannte sich Aurelio an ihr, für immer.
    Aphrodite rang mit ihrem Stolz. »Wie könnt Ihr nicht das Leben in mir spüren wollen?«
    »Ich spüre es, wenn ich Euch ansehe«, entgegnete Michelangelo, ohne dass sein Stift die Arbeit unterbrach.
    »Hier!« Sie führte ihre Hand zurück zu ihrer Brust. »Mein Herz! Das kann Euch doch nicht gleichgültig sein!«
    Ihr Spielbein öffnete sich noch weiter, kapitulierte, ihr Körper drängte nach vorne, streckte sich Michelangelo entgegen – wie eine Orchidee, die sich nach dem Licht reckte. In einer letzten Willensanstrengung bogen sich ihre Schultern zurück, ihre Brüste richteten sich auf, aus dem seidigen Fleisch stachen die Brustwarzen hervor und warfen lange Schatten über ihre Höfe.
    »Michelangelo!« In einem köstlichen Zustand zwischen Erregung, Empörung und Bewunderung war Aphrodite im Begriff, an ihrer eigenen Begierde zu zerbrechen. Sie balancierte auf dem Rand des Abgrunds, ein Bein über dem Nichts.
    In diesen Moment völliger Hingabe hinein rief der Bildhauer plötzlich: »Nicht bewegen!« Hektisch nahm er ein neues Blatt vor.
    »Was?« Entsetzt sah Aphrodite ihn an.
    »So bleiben!« Michelangelos Rötelstift tastete suchend über das Papier.
    »Michelangelo!«, ihre Stimme schmolz zu einem Flehen.
    »Nicht einen Fingerbreit!«, mahnte der Bildhauer. Nie hatte Aurelio seine Hand schneller über das Papier hasten sehen. »Endlich …«

XXXVII
    »Wann darf ich Euch das nächste Mal erwarten?«, hatte Aphrodite bei ihrem letzten Treffen gefragt – als Michelangelo sie in dieser einzigartigen Haltung eingefangen hatte, die der fleischlichen Begierde ebenso zu entspringen schien wie dem Wunsch nach Erlösung.
    »Ich weiß jetzt, wie die Statue aussehen wird«, antwortete der Bildhauer gelassen, »heute habe ich sie zum ersten Mal vor mir gesehen.«
    »Und wann werde ich Euch wiedersehen?«, wiederholte die Kurtisane ihre Frage. Noch immer fieberte ihr nackter Körper dem Bildhauer entgegen.
    Michelangelo löste sich kurz von der Zeichnung, der er mit weißer Kreide die letzten Glanzpunkte aufsetzte. »Ich habe alles, was ich für die Statue benötige.«
    »Was wollt Ihr damit sagen?« Michelangelos Worte hatten ihr einen unsichtbaren Stoß versetzt.
    »Ich brauche Euch nicht mehr.«
    Selbst der hinter dem Wandbehang verborgene Aurelio musste bei diesen Worten schlucken. Michelangelo hatte Aphrodite zum Leben erweckt, ihr Seele eingegeben, sie aus dem Verlies ihrer Einsamkeit befreit. Jetzt, da sie ihm nicht mehr von Nutzen war, stieß er sie umstandslos in die Dunkelheit zurück.
    »Ihr braucht mich nicht mehr?«
    Michelangelo hatte die Zeichnung vervollständigt und schob sie vorsichtig in das Geheimfach seiner Mappe. Er blickte Aphrodite an, als habe er ein bockiges Mädchen vor sich. »Von nun an werde ich Eure kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«
    Aphrodites ebenmäßige Gesichtszüge gerieten aus dem Gleichgewicht. Noch immer gab es dieses Leuchten in ihren blauen Augen – die Hoffnung, dass nicht sein konnte, was nicht sein durfte. In ihrem Körper jedoch war die Botschaft bereits angekommen.
    »Ihr sprecht von mir, als sei ich bereits vergangen. Dabei will ich spüren, dass ich lebe«, flehte sie. »Lasst mich meine Schönheit spüren!«
    »Für derlei Dinge ist Julius zuständig. Mein Auftrag besteht darin, eine Statue zu erschaffen.«
    »Julius lässt mich nur spüren, dass ich sterben muss.«
    Michelangelo erhob sich: »Ich werde Euch unsterblich machen – wie viel mehr Leben könnt Ihr wollen?«
    * * *
    Jedem weiteren Treffen mit Aphrodite widersetzte sich der Bildhauer hartnäckig. Wann immer der Geblendete und der Sprachlose im Seiteneingang der Sistina auftauchten, um ihm die Bitte für ein neuerliches Treffen anzutragen, wies er sie ab. Einmal erschienen sie sogar spätabends bei ihm zu Hause – und das, wo die ganze Stadt wusste, dass Julius’ Informanten hinter jedem zweiten Mauervorsprung lauerten. Michelangelo

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