Der Sixtinische Himmel
wird Jahre dauern, Jahrzehnte womöglich. Ich werde mich glücklich schätzen können, sie noch zu Lebzeiten vollendet zu sehen.«
»Nun«, entgegnete Michelangelo, »ich plane, das Fresko noch zu Euren Lebzeiten fertigzustellen.«
»Sprecht nicht wie ein aufsässiger Schüler mit mir, Buonarroti!« Julius’ Stimme grollte wie Donner unter dem Gewölbe. »Bramante ist im Begriff, die bedeutendste Kirche der Christenheit zu bauen!«
»Und ich bin im Begriff, das bedeutendste Fresko der Christenheit zu erschaffen. Und zwar mit zwei Gehilfen, nicht mit zweitausend.«
Dies war der Moment, in dem Julius’ ohnehin brodelnde Galle überschäumte. »Ich verlange, es zu sehen!«
»Das Fresko?«
»Was denn sonst?«
»Heiliger Vater. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich unmöglich erlauben, dass jemand außer mir und meinen Mitarbeitern es in Augenschein nimmt.«
»Ihr verwehrt mir den Blick auf mein Werk?«
»Ich versichere Euch: Wenn das Fresko so weit gediehen ist, dass es gesehen zu werden wünscht, werdet Ihr der Erste sein, der es sehen darf. Und, mit Verlaub« – Michelangelo deutete eine Verbeugung an –, »es ist mein Werk.«
»Das ist meine Kirche!«
»Es ist Gottes Kirche.«
»Ich verfüge darüber!«
»Dennoch ist es mein Fresko.«
»Für das ich bezahlt habe.«
»Für das Ihr bezahlt haben werdet – wenn es fertig ist.«
Zum zweiten Mal krachte Julius’ Stock auf die Fliesen. »Ich weigere mich, diese Unterhaltung mit Euch fortzuführen!«
»Dann lasst es.«
»Ihr habt bereits tausend Dukaten von mir erhalten.«
»Ihr sprecht von dem Geld, mit dem arme Sünder sich von ihren Sünden freizukaufen glauben.«
»Und welches zum Wohle und zur Ehre Gottes verwandt wird – und welches Ihr von mir erhalten habt!«
Michelangelo legte die Hände ineinander und sprach mit einem Gleichklang in der Stimme, der seine Beleidigung noch steigerte: »Nun denn: Für die Summe, die ich bereits von Euch erhalten habe, dürft ihr die Wandstreifen und die Pendentifs in Augenschein nehmen.«
Julius’ Stock schnellte vom Boden auf und wirbelte einen Moment schwerelos in der Luft, bevor der Papst mit geübtem Griff die goldene Spitze ergriff und einen Schwung ausführte, der die Luft surren ließ. Michelangelo schien auf den Schlag vorbereitet zu sein. Ruckartig bog er seinen Körper nach hinten und wandte den Kopf ab. Julius allerdings hatte mehr Übung darin, Schläge auszuteilen, als Michelangelo, ihnen auszuweichen. Der Knauf streifte den Künstler am Kinn, seine Zähne schlugen aufeinander, und seine Unterlippe platzte auf.
Julius ließ den Stock durch die Finger gleiten, bis er wieder den Griff in der Hand hielt, fuhr mit dem Daumen über den Knauf – da, wo Michelangelos Kinn das Gold beschmutzt hatte – und setzte mit einem feinen Klick die Spitze auf den Boden. Einen Augenblick lang herrschte völlige Reglosigkeit. Beide warteten auf eine Reaktion ihres Gegenübers. Das Blut, das von Michelangelos Lippe rann, begann, auf den Boden zu tropfen.
Mehr als Michelangelo war dem Papst selbst der Schreck über seine Unbeherrschtheit anzumerken. Michelangelo mit dem Stock zu schlagen hatte eine Grenze verletzt, die Julius sich zu respektieren geschworen hatte. Seine innere Zerknischung fand ihren äußeren Ausdruck in einer zerfurchten Stirn. Immer wieder gab es Momente, in denen ihm die Gewalt über seinen Stock entglitt. Doch Michelangelo Buonarroti zu schlagen war etwas anderes. Am Ende brachte er keinem Künstler mehr Achtung entgegen als dem halsstarrigen Bildhauer. Nicht einmal Bramante oder Raffael, auch wenn die alles getan hätten, um ihn zufriedenzustellen. Sowenig er Michelangelo mochte, so sehr bewunderte er seine Arbeit. Und jetzt hatte er sich an ihm vergangen, weil … weil Michelangelo es zu weit getrieben hatte. Sie nannten ihn »il papa terribile«, den Papst mit dem galligen Temperament. Nun, das mochte so sein, und in schwachen Momenten gestand Julius sich ein, dass dieser Name seiner Eitelkeit durchaus schmeichelte. Doch die terribilità Michelangelos stand der seinen in nichts nach.
Auf dem Gesicht des Künstlers deutete sich ein schiefes Lächeln an, das den Riss in seiner Lippe auseinanderklaffen und noch mehr Blut aus der Wunde treten ließ. Julius erschrak, als er erkannte, dass selbst aus diesem schmerzhaften Lächeln noch Überlegenheit sprach. Ist das alles, schien es zu sagen. Torrigiani, der Lehrling in Ghirlandaios Bottega, durfte mir die Nase zertrümmern und mich für
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