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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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vorherige Anzeichen. »So«, sagte er. Zum ersten Mal meinte Aurelio, ein Lächeln unter seinem Bart auszumachen. »Du weißt also, wer er ist, weil er sehr reich ist. Nicht wahr?« Er wandte sich der Villa zu. »Nun, das ist wohl offensichtlich – wenn sich jemand ein solches Schloss bauen und anschließend die Räume von den namhaftesten Künstlern ausmalen lässt. Penni, Peruzzi, Sodoma, del Piombo … Alle stehen sie an, um für den großen Chigi den Pinsel zu schwingen.« Sie setzten ihren Weg fort. »Raffael wird sein Schlafgemach mit Fresken schmücken. Sollte mich nicht wundern, wenn sich das Muttersöhnchen dafür in Gold aufwiegen ließe.«
    Aurelio interessierte etwas anderes: »Ist es wahr, dass er und Imperia ein Paar sind?«
    »Woher weißt du denn, wer Imperia ist?«
    »Nun, ist sie nicht eine berühmte Kurtisane – die berühmteste Kurtisane Roms?«
    »Um Ruhm zu erlangen, Aurelio, gilt es, zuvor etwas zu leisten. Etwas Außergewöhnliches. Was Imperia tut, ist weder besonders außergewöhnlich, noch würde ich es eine Leistung nennen, auch wenn manch einer sicher anders darüber denkt.«
    »Man sagt, sie lese Dante und Petrarca«, versuchte Aurelio ins Feld zu führen.
    »Man sagt sogar, sie sei eine honesta , eine Dame von Ehre! Lesen allein genügt nicht, Aurelio. Man sollte das Buch dabei wenigstens richtig herum halten.«
    »Und sie soll die Laute spielen!«
    »Als sei ihre Lasterhaftigkeit nicht ohne Musik schon Bedrohung genug!« Sie hatten die Porta Settimiana erreicht. Michelangelo räusperte sich einige Male, bevor er seine Stimme zurückgewonnen hatte. »Auf den Banketten, die Chigi veranstaltet, wird jeder Gang auf einem eigenen Silberteller serviert. Wer fertig ist, wirft seinen Teller in den Tiber und bekommt den nächsten. Natürlich lässt er sie am Tag darauf wieder herausfischen, auch wenn er das niemals zugeben würde. Nun sag mir, Aurelio: Glaubst du, dass Silberteller dafür gemacht werden – dass man sie in den Tiber wirft wie Nussschalen?«
    Aurelio hatte in seinem ganzen Leben noch nicht von einem Silberteller gegessen. In Forlì gab es einen Orefice, einen Goldschmied, der auch Silberteller herstellte. Jeder einzelne kostete einen Monatslohn. Prahlerei, hatte Tommaso gesagt, sei Sünde. Was hätte er jedoch zu Menschen gesagt, die ihre Silberteller in den Tiber warfen, nachdem sie einmal davon gegessen hatten? Dennoch verspürte Aurelio einen kleinen, neidischen Stich in der Brust. Die Gewissheiten des Lebens wurden einem in dieser Stadt wie Planken unter den Füßen weggezogen.
    »Habt Ihr es selbst gesehen?«, wollte er wissen.
    »Was um alles in der Welt hätte ich auf einem solchen Bankett verloren?«
    Nichts, ging es Aurelio durch den Kopf.
    »Ich weiß nicht viel, Aurelio, doch eines weiß ich sicher: Wer nichts Besseres im Sinn hat, als sich in seinem eigenen vergänglichen Glanz zu spiegeln, der wird Gottes Licht niemals erblicken.«
    Vergiss nie, wer du bist und woher du kommst, hatte Tommaso seinem Sohn auf dem Totenbett eingeschärft. Aurelio wusste nicht, wo Michelangelo herkam, langsam jedoch glaubte er zu begreifen, wer er war.

IX
    Hatte die Via Lungara noch eine breite Schneise durch den Borgo geschlagen, so fraßen sich die Gassen von Trastevere wie Würmer durch den Stadtteil jenseits des Tiber. Nach nur wenigen Metern hätte Aurelio nicht mehr sagen können, in welcher Richtung der Fluss lag. Ob Häuser, Straßen oder Menschen: Alles bog sich, krümmte sich, wurde notdürftig gestützt. Die Gassen waren so eng, dass die Sonne kaum den Boden berührte.
    Die Räume des Altwarenhändlers Petronino schienen den Stadtteil noch einmal im Kleinen nachzubilden. Bis unter die Decke stapelten sich Möbel, Teppiche, Teller – ein System war nicht zu erkennen. Niemand hätte sagen können, wo etwas seinen Anfang nahm und wo es aufhörte. Der Geruch von Generationen, die an diesen Tischen gegessen und in diesen Betten gestorben waren, lag wie ein Dunst über den Möbeln. Petronino selbst, der seine langen, grauen Haare zu einem Zopf gebunden trug und im Laufe der Jahre die Farbe seiner Umgebung angenommen hatte, schlich durch die kaum schulterbreiten Gassen seines Lagers, wobei er den Kopf einzog, als fürchte er, jeden Moment unter einer durchhängenden Decke begraben zu werden. Michelangelo bestellte »die zwei billigsten Doppelbetten, die nicht unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen«, sowie einen Schrank und genug Geschirr, um »ein halbes Dutzend

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