Der Sixtinische Himmel
aber bei einer Frau mit roten Haaren verfielen sie augenblicklich in eine Starre und beteten zum Allmächtigen, er möge ihnen die Kraft geben, dieser Versuchung zu widerstehen. Gefragt waren dagegen Griechinnen mit hoher Stirn, klassischem Profil und guter Bildung. Am besten solche, die lateinische Verse rezitierten und sich dabei noch auf der Gambe begleiteten. Oder aber Blondinen, einheimische Blondinen.
Anfangs hatte auch Margherita versucht, ihre Haare zu bleichen. Das machten viele. Doch am Ende hatte sich das Rot nur verstärkt. Das wahre Wesen ihrer Haare ließ sich nicht verleugnen. Am wichtigsten aber war die Unschuld: Eine erfolgreiche Kurtisane musste unschuldig aussehen. Berstend vor Lust, aber jungfräulich. Wenn es ihr gelang, sich mit dem Mantel der Unschuld zu kleiden, dann konnte sich eine Cortigiana mit ein paar Tricks ihre Jungfräulichkeit jeden Tag aufs Neue vergolden lassen.
»Mir glaubt niemand, dass ich noch Jungfrau bin«, schloss Margherita. »Ich bin schön, ja, aber unschuldig bin ich nicht.« Sie lachte kurz auf. »Das ist wie mit meinen Haaren. Mein wahres Wesen lässt sich nicht verleugnen.«
Aurelio presste die Kiefer aufeinander. Es versetzte ihm einen eifersüchtigen Stich, sie so freigebig über ihre Liebhaber reden zu hören.
Zur Zeit war sie auf der Suche nach einem Mezzano, der ihr das Tor zum Vatikan öffnen würde, doch mit den Vermittlern verhielt es sich wie mit allem anderen: Die wirklich guten waren heiß begehrt und stellten hohe Anforderungen. Violinspiel, Tanz, Kenntnis der Werke von Dante und Petrarca … »Das bin ich nicht, Aurelio.« Solange also die Adeligen und hochrangigen Kleriker noch nicht den Weg zu ihr suchten, durfte sie bei der Wahl ihrer Gönner nicht allzu kleinlich sein. Geschäftsleute, Pilger, die nicht nur der inneren Einkehr wegen in die Stadt kamen, Händler von außerhalb, die nach einem hübschen Fötzlein gierten, aber nicht mehr dafür auszugeben bereit waren, als sie unbemerkt vor ihrer Frau verheimlichen konnten. Sie zahlten ordentlich und behandelten sie mit Respekt, doch statt in Luxus zu baden, musste Margherita sämtliche Einnahmen auf eine standesgemäße Ausstattung und eine vorzeigbare Wohnung verwenden. Sie hatte sich, nachdem sie die ersten Tage bei dem Bekannten ihrer Cousine gewohnt hatte, an der Torre di Nona, dem Festungsturm, von dem aus der Fährverkehr kontrolliert wurde, eine Wohnung gemietet – das Mindeste für eine Kurtisane, die etwas auf sich hielt. Unterm Strich zahlte sie jedoch drauf. Noch.
Während sie durch die Gassen schlenderten, nahm ihre Stimme nach und nach eine dunkle Färbung an. Es war nicht Resignation, die aus ihr sprach, eine gewisse Müdigkeit jedoch war nicht zu überhören. Sie hatte es sich einfacher vorgestellt. Ihr lebensfrohes Wesen war ungebrochen, aber vom Traum des schnellen Ruhms hatte sie sich verabschieden müssen.
* * *
Aurelio hatte sich gewaschen, sein neues Hemd angezogen und die Schnallen seiner Schuhe poliert. Am Nachmittag, auf dem Gerüst, hatte seine Hand nur noch fahrig mit der Kelle über das Gewölbe gekratzt. Natürlich war es Piero nicht verborgen geblieben. Mehr als einmal hatte er Aurelio einen skeptischen Seitenblick zugeworfen. Doch es half nichts. Aurelio konnte kaum die Beine stillhalten, wie sollte er da seine Hände beruhigen, die an nichts anderes dachten, als dass sie heute Nacht zu Margherita zurückkehren würden? Bis sich die Sonne dem Horizont entgegenneigte und das Licht beinahe waagerecht in die Kapelle strömte, hatte sich Aurelios Zustand so verschlechtert, dass er mehr Putz auf der Bühne verteilte, als er aufzutragen imstande war. Inzwischen drohte er sich mit der Kelle zu verletzen. Piero trat an ihn heran und stellte das Kantholz wie ein Lanze neben sich.
»Legt es nicht an«, bat Aurelio. Das einfallende Licht ließ die Wellenlinien im Putz für das bloße Auge erkennbar zutage treten. »Morgen früh schlage ich es wieder ab.«
Bereits am Nachmittag hatte ein frischer Westwind eingesetzt und den Gestank aus den Straßen gefegt. Sogar die Engelsburg konnte Aurelio passieren, ohne dass ihm der Geruch des fauligen Wassers aus dem Graben den Atem verschlug. Jetzt, im Schein der an der Fassade züngelnden Fackeln, wirkte die Burg noch bedrohlicher als bei Tage. Im ölig glänzenden Wasser kämpften unterarmgroße Ratten verbissen um die in den Graben geworfenen Abfälle.
Eilig lief er über den Ponte Sant’Angelo, von dem aus der mächtige Torre
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