Der Sixtinische Himmel
Konsistenz von dünnflüssigem Teig angenommen hatte. »Ab jetzt kannst du ihn anfassen.« Piero zog einen zweiten Sack herbei, den er mit deutlich weniger Vorsicht handhabte. »In Florenz nehmen wir Marmorkalk und Arnosand«, sagte er, »hier in Rom verwendet man Travertinkalk und Pozzolana.« Er maß einen Sester der Vulkanasche ab, streute diese über die Masse und fuhr fort, sie durchzurühren. Schließlich wiederholte er den Vorgang und knetete alles mit der Hand durch. Dann ließ er etwas von der Masse auf eine Kelle tropfen und betrachtete, wie sie über das Metall lief. »Merkwürdig«, stellte Piero fest.
»Was?«, fragte Aurelio.
»Verläuft ziemlich schnell. Dabei habe ich die Mengen exakt bemessen. Wir müssen unbedingt darauf achten, immer die vorgeschriebenen Mengen zu verwenden. Keine Abweichungen, sonst bröckelt das Fresko auf uns herab, bevor wir die Bühne abgebaut haben. Dasselbe gilt für die Farben. Das Wetter wird uns noch genug Ärger bereiten. Umso wichtiger ist es, dass die Farben stets dieselbe Konsistenz haben. Sonst sieht man nachher die Nahtstellen der einzelnen Giornate.«
Der Auftrag des Intonaco war nicht weniger kompliziert als seine Herstellung. Er wurde dünner aufgebracht als der darunterliegende Spritzbewurf. Höchstens einen Fingerbreit durfte die Schicht stark sein, sonst würden sich nach dem Trocknen Risse bilden. Trotzdem sollte er noch gleichmäßiger als der Arriccio sein, was aufgrund seiner weichen Konsistenz besonders schwierig war. Insbesondere in den Außenbereichen neigte er dazu, während des Auftrags die Wände hinabzulaufen. War die Giornata endlich verputzt, wurden mit feuchten Flachstüchern die Spuren des Auftrags getilgt und der Untergrund etwas angeraut.
»Etwas!«, erklärte Piero und hob mahnend die Kelle auf Augenhöhe. »Und vor allem: gleichmäßig. So gleichmäßig, wie die Sonne über den Himmel zieht. Sonst nimmt der Intonaco die Farben nicht gleichmäßig auf, und wir haben am Ende kein Fresko, sondern ein sechstausend Quadratfuß großes Leopardenfell.«
Piero weiß von der Raubkatze, schoss es Aurelio durch den Kopf. Eindringlich blickte er seinen Lehrmeister an. Er hatte nie mit ihm über Aphrodite gesprochen, und Piero hatte nie ein Wort über das so sicher verwahrte Geheimnis verloren. Ihn interessierten solche Dinge nicht. Er schien immun gegen die Verlockungen des Fleisches zu sein. Durch den Vergleich mit dem Leoparden jedoch hatte er unbeabsichtigt ein kleines Geheimnis preisgegeben. Auch in Pieros Kopf gab es einen verborgenen Ort, an dem die Kurtisane des Papstes ihr Unwesen trieb. Wahrscheinlich gab es in ganz Rom niemanden, der nicht von ihr infiziert war. Ausgenommen vielleicht Michelangelo mit seiner Vorliebe für muskulöse Männer.
»Es ist kein Leopard«, gab sich Aurelio zu erkennen. »Es ist ein Jaguar.«
»Solche Dinge interessieren mich nicht«, antwortete Piero. Doch offenbar wusste er, wovon sein Gehilfe sprach. Er gab Aurelio ein weiteres Tuch.
»Seide«, stellte Aurelio fest.
»Sobald sich auf dem Intonaco ein Haut gebildet hat, werden damit die letzten Sandkörner entfernt.«
»Erst feuchter Flachs, dann trockene Seide.«
»Und niemals zu fest, sonst drückst du Dellen in den Putz.«
Mit jedem Satz Rossellis spürte Aurelio die Verantwortung schwerer auf seinen Schultern lasten. Überall lauerten Fehler. Und jeder neue Arbeitsschritt konnte alle vorangegangenen zunichtemachen. »Noch etwas?«, fragte er.
»Ja: An die Arbeit!«
Die Arbeitsbühne erwachte zum Leben. Piero trug den Intonaco auf, den Aurelio immer wieder umrührte, Bugiardini kümmerte sich um die Pinsel und die Werkzeuge, Bastiano zerrieb die Farben, und Granacci bereitete den Karton vor, den Tedesco und Agnolo auf den Putz übertragen würden. Michelangelo ging unten in der Kapelle auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Piero überließ es Aurelio, die Giornata erst mit dem Flachs- und später mit dem Seidentuch abzuwischen. Ein erdrückender Vertrauensbeweis. Alle sahen ihm dabei zu. Doch nach den letzten Monaten hatte Piero ein ausgeprägtes Gespür für die Fähigkeiten seines Lehrlings entwickelt. Er wusste, was er von ihm erwarten durfte. Am Ende standen alle auf der Bühne und erwarteten sein Urteil.
»Ich weiß nicht, was du in deinem Leben noch so vorhast«, sagte Piero gedehnt, während er den Intonaco gegen das schräg einfallende Licht auf Unregelmäßigkeiten prüfte, »wenn das hier vorbei ist, meine ich. Aber solange
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