Der Sixtinische Himmel
Selbst betrunken wurde er niemals unverschämt. Auch war er nicht beleidigt, wenn Margherita ihn bat zu gehen, weil sie noch einen anderen Kunden erwartete. Am liebsten mochte sie an ihm, was er alles nicht war: nicht eifersüchtig, nicht eingebildet, nicht verklemmt, nicht geizig, nicht gewalttätig. Er zahlte nicht so gut wie der Brevenschreiber, aber gut genug, um ihre Wohnung mit all dem auszustatten, was von einer erfolgreichen Kurtisane erwartet wurde. Ein französischer Wandteppich, silberne Kandelaber, silbernes Geschirr, Truhen mit Intarsienarbeiten, Schränke mit kunstvollen Beschlägen. Schließlich durften ihre Kunden nicht das Gefühl eines gesellschaftlichen Abstiegs haben, wenn sie zu ihr kamen.
Natürlich gehörte nichts davon wirklich ihr. Es gab in der Stadt einige sehr diskrete »Ausstatter«, die für Kurtisanen wie Margherita Wohnungen maßschneiderten. Da sich jedoch nur die allerwenigsten Kurtisanen erlesene Möbel tatsächlich kaufen konnten – und die, die es konnten, mussten es nicht, weil ihre Gönner ihnen Häuser mit angelegten Gärten samt Pergolen und Springbrunnen bauen ließen –, wurde ihnen die Ausstattung kurzerhand vermietet. Von den Damastvorhängen bis zu den griechischen Vasen auf dem Balkon war alles geliehen. Sogar die nackte Bronzenymphe, in deren Schale ätherische Öle erhitzt wurden, um die Räume mit stimulierenden Düften zu erfüllen. Und natürlich wusste auch das jeder. Doch es war unerheblich. Hauptsache, die Illusion war gelungen.
Aurelio hätte sich glücklich schätzen sollen. Eine Kurtisane wie Margherita, die sich einen Malergehilfen wie ihn auserkoren hatte. Doch auserkoren wozu? Was war er für sie, und weshalb konnte sie nicht von ihm lassen? Sie liebte ihn, jedenfalls sagte sie das. Doch Aurelio kam sich oft genug nicht geliebt, sondern eher adoptiert vor. Möglicherweise, dachte er, war das ja auch dasselbe. Und natürlich genoss er die Liebesnächte mit ihr. Das hieß: Genießen war nicht das richtige Wort. Es war mehr ein Hunger, der gestillt wurde, bis beide so satt waren, dass sie eng umschlungen in einen traumlosen Schlaf sanken. Und manchmal, bevor er einschlief, fühlte Aurelio sich … verkehrt. Wie ein Jucken, dessen Ursache man nicht kannte.
Immer wieder beschwor Margherita die Liebe, die sie für ihn zu empfinden vorgab. Sie legte sich ihm zu Füßen. Im Grunde aber wollte sie ihn beherrschen. Auch wenn sie alles für ihn tat – am Ende war er es, der alles mit sich machen lassen musste. Sie ließ Essen kommen, gebratene Spanferkel, erwies ihm die ausgefallensten Liebesdienste, verwöhnte ihn mit Mandeltörtchen und streichelte ihn in den Schlaf. Doch ob er das wollte, hatte sie nie gefragt. Als Aurelio ihr sagte, er möge keine Mandeln, fuhr sie ihm durch die Haare, griff seine Locken und schüttelte seinen Kopf wie den eines ungezogenen Jungen. »Wie du redest«, antwortete sie und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.
Außerdem belächelte sie seine Arbeit. Wann immer er ihr vom Fortgang in der Kapelle berichtete und was sie an diesem Tag getan hatten, antwortete Margherita nur, er solle seine Begabungen lieber auf sie und ihren Körper verwenden. Jedes Verständnis für die Bedeutung von Kunst ging ihr völlig ab. »Ihr werdet Jahre brauchen, um eine Decke zu bemalen? Was für eine Zeitverschwendung! Wer bezahlt das alles – der Papst? Dreitausend Dukaten? Der Mann hat zu viel Geld.«
Für Margherita war Kunst ein notwendiges Übel. Man benötigte sie, um einer Wohnung den gewünschten Status zu verleihen. Noch ein Posten mehr bei den Ausgaben, und kein geringer. So nötig wie ein Kropf. Am schlimmsten aber waren Statuen. Für Gemälde konnte sie noch Verständnis aufbringen, manche waren ganz schön anzusehen, und Wandteppiche begünstigten die Akustik. Statuen aber waren eigentlich nur eins: unhandlich. Ach ja: und nutzlos. Sie beanspruchten Raum, der sich in jedem Falle sinnvoller verwenden ließ.
»Aber eine Statue ist wie …«, entgegnete Aurelio. »Sie ist größer als das Leben. In ihr kommt zum Ausdruck, was der Mensch sein könnte.« Er senkte den Kopf. »Und doch niemals sein wird.«
Margherita legte ihren Kopf schief. »Du meinst das wirklich ernst, nicht wahr?« Sie lächelte ihn an, als habe er etwas furchtbar Dummes gesagt. Wie eine Mutter ihren Sohn anlächelte: voller Nachsicht. Manchmal hatte Aurelio das Gefühl, am Ende brachten ihm Rosselli und die anderen mehr Respekt entgegen als Margherita.
Einmal hatte
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