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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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müsse Herrn Buonarroti bewusst sein, dass jedwede Vertragsverletzung …
    »Vertrag, Vertrag! Den einzigen Vertrag, den ich je geschlossen habe, habe ich mit Gott geschlossen. Und dieser Vertrag sieht vor, dass ich als Bildhauer arbeiten soll. Auf Lebenszeit. Papst Julius hat nichts weiter im Sinn, als mich ein ums andere Mal zum Bruch dieses Vertrages zu zwingen!«
    Michelangelo sank auf sein Kissen zurück. Granacci, der vor der Tür gestanden hatte, eilte herbei und versuchte, die Situation irgendwie zu retten.
    Der Sekretär starrte auf das Bett. Er rang um seine Fassung. »Wie es den Anschein hat, ist Euch nicht viel an Eurem Leben gelegen«, erklärte er schließlich.
    Granacci schob ihn so diplomatisch Richtung Tür wie möglich. Noch zwei Wortwechsel dieser Art, und Michelangelo könnte sein Todesurteil unterschreiben. Andere waren schon für weit weniger blasphemische Äußerungen in die Engelsburg gesperrt oder gar gehenkt worden.
    »Gehe er nur«, krächzte Michelangelo dem Abgesandten hinterher. »Richte er dem Heiligen Vater aus, er täte besser daran, für sein eigenes Seelenheil Sorge zu tragen. Noch hat sich jeder vor Gott verantworten müssen – früher oder später. Ein paar Ablasszettel werden den Allmächtigen kaum milde stimmen.«
    Granacci drängte den Abgesandten sanft, aber bestimmt in den Flur, während Aurelio die Tür hinter ihnen schloss und sich dagegenlehnte, als könne er so verhindern, dass weitere Worte aus der Kammer entwichen. Einen Moment standen sich Granacci und der Sekretär wortlos gegenüber.
    »Ich bitte Euch demütigst« – Granacci senkte sein Haupt und stieß die Spitzen seiner Finger gegeneinander –, »bedenkt, dass Maestro Buonarroti im Fieberwahn spricht. Er ist nicht Herr seiner Sinne, jedenfalls nicht im Moment.«
    Der Sekretär blickte zur Kammer hinüber. »Im achten Höllenkreis ist bereits ein Ehrenplatz für ihn reserviert!«, drang Michelangelos Stimme durch die Tür.
    Jeder Fingerbreit von Granaccis Gesicht bezeugte seine innere Zerknirschung. Der Sekretär klemmte seine Stirn zwischen Daumen und Mittelfinger. »Ist Euch bewusst, was Ihr da von mir verlangt?«
    Natürlich war Granacci das bewusst. Der Papst würde sich genauestens über diesen Besuch Bericht erstatten lassen. Hielt sein Sekretär ihm Informationen vor, brachte er sich selbst in Gefahr. »Er ist nicht bei Sinnen«, wiederholte Granacci, »glaubt mir. Bitte.«
    Der Sekretär löste die Finger von seiner Stirn. »Könnt Ihr Gewähr dafür übernehmen«, fragte er gedehnt, »dass keines der Worte, die in dieser Kammer gefallen sind, jemals dieses Haus verlässt?«
    »Bei meiner Ehre«, antwortete Granancci.
    Der Sekretär nickte kaum sichtbar. »Sei’s drum. Ich werde Seiner Heiligkeit berichten, dass Maestro Buonarroti erkrankt ist, sich jedoch auf dem Wege der Besserung befindet und in spätestens drei Tagen die Arbeit am Deckengewölbe wiederaufnehmen wird.«
    »Fünf«, beeilte sich Granacci zu sagen.
    »Verlangt nicht zu viel«, knurrte der Sekretär.
    »Ihr selbst habt Euch davon überzeugen können, in welchem Zustand Maestro Buonarroti sich befindet. Fünf. Ich bitte Euch. Das ist nicht zu viel.«
    Erneut deutete der Sekretär ein Nicken an. Dann stieg er umständlich die Stufen hinab und verließ das Haus, ohne die Tür zu schließen.
    Aus Michelangelos Kammer drang ein Stöhnen. Granacci und Aurelio sahen sich an.
    »Allora«, sagte Granacci, »der Papst wird ihn nicht umbringen. Vorerst. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass er es nicht selbst tut.«
    * * *
    Wenige Stunden später erschien ein Arzt. Der Papst schien sich tatsächlich zu sorgen.
    »Er will wissen, wie krank Michelangelo wirklich ist«, raunte Rosselli.
    Der Arzt war so verschwiegen, dass er sich nicht einmal vorstellte, sondern zur Begrüßung nur ein Nicken andeutete. Der Rest war offenbar selbsterklärend. Er schien genauestens instruiert worden zu sein, jedenfalls stieg er ohne Umschweife die Stufen ins Obergeschoss hinauf, ohne dass ihm jemand erklärt hätte, wo Michelangelos Kammer zu finden war. Kurz lupfte er Michelangelos Augenlider an.
    »Zwei Schüsseln«, sagte er, ohne dabei jemanden anzusehen. Diesem Satz sollten nur noch zwei weitere Worte folgen.
    Kaum hatte Aurelio die Schüsseln herbeigetragen, holte der Arzt ein Lederetui aus seinem Umhang, zog ein Fliet mit Elfenbeingriff daraus hervor, schlug Michelangelos Decke zurück und öffnete die Venen an den Innenseiten seiner Waden. Der Bildhauer

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