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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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stöhnte auf. Kurz spannte sich sein Oberkörper, und die Schultern drückten sich in die Matratze. Dann lag er so reglos wie zuvor.
    Ein feines, metallisches, beinahe unhörbares Geräusch war zu vernehmen. Der Arzt hatte die Haut tief eingeschnitten, dennoch floss das austretende Blut nur in schmalen Rinnsalen in die Schüsseln. Dies schien ihn in seiner Annahme zu bestätigen, dass das Gleichgewicht der Körpersäfte gestört war.
    »Zu dick«, erklärte er.
    Er wartete, bis sich die Schnitte von selbst geschlossen hatten, stellte die Schüsseln auf den Boden, schlug die Decke über Michelangelos Beine und verließ das Haus. Michelangelo war vor Entkräftung eingeschlafen. Aurelio trug die Schüsseln nach unten, konnte sich aber nicht überwinden, das Blut seines Meisters einfach auf die Straße zu kippen. Stattdessen trat er in den kleinen Hof, der sich auf der Rückseite des Hauses anschloss, und entleerte die Schüsseln zu Füßen des Feigenbaums, wo das Blut auf Stamm und Wurzeln bräunliche Flecken hinterließ.
    * * *
    Aurelio schreckte aus dem Halbschlaf auf. Das leise Zischen, das sein Meister mit jedem Atemzug ausstieß, war verstummt. Die Kerze war erloschen. Das Haus war still. Ganz Rom schwieg. In der Schwärze der Nacht tastete Aurelio nach dem Bett. Erst seine Hand auf Michelangelos schmaler Brust brachte ihm die Gewissheit, dass die Luft nach wie vor ihren Weg in dessen Lungen fand. Seit dem Besuch des Arztes hatte sein Meister nicht mehr gesprochen. Lediglich ein fernes Stöhnen war hin und wieder zu vernehmen, das meist mit einem Schnaufen einherging. Michelangelo versuchte, der Dämonen Herr zu werden, die Aurelio in so vielen seiner Skizzen erblickt hatte. Vorsichtig zog er seine Hand zurück.
    »Aurelio?«
    Der Tag kündigte sich an. Michelangelos Augen waren geöffnet, sein Blick war starr zur Decke gerichtet. Immerhin konnte er Worte formen. Die Glocken zur Laudes schienen ihn geweckt zu haben. Im fahlen Licht wirkte seine Haut wie von Asche bedeckt.
    »Ja, Maestro?«
    Nach einer Weile: »Es ist gut.«
    Es klang, als enthielte dieser Satz eine Aufforderung. Aurelio wartete.
    »Geh und ruhe dich aus«, erklärte Michelangelo. »Es geht mir besser.«
    Aurelio glaubte seinem Meister kein Wort. Er war ja nicht einmal in der Lage, seinen Kopf zu bewegen.
    »Geh schon.«
    »Ihr müsst etwas essen.«
    Michelangelo versuchte zu lächeln, bekam aber nur ein Husten zustande. »Ihr und Euer Essen …«
    »Ich werde Euch etwas bringen, und Ihr werdet …«
    »Ich werde es nicht anrühren«, führte Michelangelo den Satz zu Ende. »Geh und ruh dich aus.«
    Widerstrebend verließ Aurelio die Kammer.
    Um die Mittagszeit erschien erneut der Arzt. Der Papst musste in großer Sorge sein. Wieder kein Wort der Begrüßung. Das Kopfnicken, das Fliet mit dem Elfenbeingriff, das Blut, das leise in die Schüsseln tröpfelte, neue Flecken auf den Wurzeln des Feigenbaums. Bevor er in den Schlaf sank, sagte Michelangelo Granacci und Aurelio, sie sollten endlich das Essen neben seinem Bett fortschaffen und die Tür schließen, von außen. Bitte. Bastiano saß in der Küche und kopierte Michelangelos Deckenentwurf, Rosselli beschäftigte sich mit Kochen. Sie sahen Granacci an, als könne nur er eine Lösung finden.
    Granacci begann, den Brei auszulöffeln, den Michelangelo nicht angerührt hatte, und übte sich in Zuversicht: »Solange er noch genug Kraft besitzt, jegliches Essen zu verweigern …«
    Als Aurelio das Abendessen hinauftrug, fand er die Tür seines Meisters verschlossen vor.
    Er klopfte.
    Keine Antwort.
    »Maestro?«
    Keine Antwort.
    Panik stieg in ihm auf. Hatte Michelangelos selbstzerstörerischer Dämon endgültig von ihm Besitz ergriffen?
    Aurelio schlug mit der Faust gegen die Tür. »Maestro!«
    Aus der Kammer drang ein kaum vernehmbares Stöhnen. Wenigstens war er am Leben. Aurelio hätte ihn niemals alleine lassen dürfen. Er trommelte gegen die Tür. »Maestro, öffnet die Kammer!«, forderte er.
    Auf der Treppe ertönten Schritte. Plötzlich war der kleine Flur von Menschen erfüllt. Bis auf Tedesco drängten sich alle vor der Kammer.
    »Was ist?«, fragte Bugiardini.
    Agnolo erklärte das Offensichtliche: »Er hat sich eingeschlossen.«
    »Psst«, machte Rosselli, der sein Ohr an die Tür gelegt hatte.
    Ein Quietschen, ein Scharren, unbestimmte Geräusche, die sich quälend langsam der Tür näherten.
    »Aurelio?« Michelangelos flüsternde Stimme sprach direkt durch den Türspalt.
    Rosselli

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