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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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winkte Aurelio herbei, der sein Ohr an den Spalt legte. »Maestro?«
    »Sag den anderen, sie sollen verschwinden. Ich will nicht, dass mich jemand so sieht.«
    Aurelio erklärte den anderen, was Michelangelo ihm aufgetragen hatte. Einer nach dem anderen stiegen sie die schmale Treppe ins Erdgeschoss hinab. Bugiardini als Letzter. »Und was jetzt?«, fragte er.
    Als alle gegangen waren, wandte sich Aurelio wieder der Tür zu. »Maestro, macht auf.«
    Auf allen vieren war Michelangelo vom Bett zur Tür gekrochen. Jetzt kauerte er an der Wand. Da war Blut. An den Laken, dem Bett. Seine Hände hatten blutige Abdrücke auf dem Boden hinterlassen. Aurelio kniete sich vor seinen Meister, dessen Hände kraftlos in seinem Schoß ruhten, und drehte seine Handflächen nach außen. Sie waren voller Blut, ein Schnitt jedoch war nirgends zu erkennen. Mehr Blut. Das Nachthemd. Voller Blut. Aurelio schob seine Hände unter Michelangelos Körper hindurch, hob ihn hoch und erschrak. Ein Stapel Holzscheite wog schwerer als dieser Körper. Seine eigenen Worte kamen ihm in den Sinn, als er die Pietà gesehen hatte: Er ist so leicht, im Tod .
    Aurelio trug Michelangelo in sein Bett zurück, schnürte das Nachthemd auf und traute seinen Augen nicht. Auf der Brust seines Meisters war eine gemalte Hand zu sehen – eine in Blut gemalte Hand, die sich nach etwas ausstreckte. Doch da war nichts. Die Hand griff ins Leere. Erst jetzt begriff Aurelio, dass die feinen Linien aus Hunderten kleiner Nadelstiche gebildet waren. Sein Meister war dabei, den Verstand zu verlieren.
    Aurelios Fingernägel gruben sich in seine Handflächen. »Was habt Ihr getan?«
    Michelangelo legte das Kinn auf die Brust und sah an sich herunter. »Ich habe mich selbst perforiert.«
    Unter Aurelios Fingernägeln platzte die Haut auf. »Warum in Gottes Namen habt Ihr das getan?«
    Michelangelo zwang sich zu einem Lächeln. Sei nicht traurig, schien es sagen zu wollen. »Ich weiß es nicht.«
    * * *
    Nachdem Aurelio ihm erklärt hatte, dass Michelangelo die Nacht möglicherweise nicht überleben würde, rief Granacci die Bottega im Atelier zusammen. Es musste etwas geschehen. Doch was? Stumme Ratlosigkeit erfüllte den Raum und fand ihren Ausdruck in einer Zeichnung, die Bastiano von ihnen anfertigte, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Da standen und saßen sie, umrissen in groben Kohlestrichen, und die Haltung eines jeden von ihnen drückte die blanke Hilflosigkeit aus.
    »Der Arzt«, schlug Tedesco schließlich vor. Das Schweigen im Raum verursachte ihnen physische Schmerzen. »Er muss wieder zur Ader gelassen werden.«
    Bugiardini nickte.
    Granacci blickte in die Runde. Als sich sein und Rossellis Blicke trafen, schüttelte dieser den Kopf.
    »Was meinst du?«, fragte Granacci.
    Erst als er die Blicke der anderen auf sich spürte, wurde Aurelio klar, dass die Frage an ihn gerichtet war. »Ich bin kein Arzt«, sagte er.
    »Aber du hast eine Meinung«, vermutete Granacci.
    Das stimmte. Granacci wirkte oft wenig feinfühlig. Doch sein Gespür für andere Menschen arbeitete erstaunlich präzise. Aurelio überlegte. Er hatte kein gutes Gefühl, was den Aderlass betraf. Sicher, Michelangelos Körpersäfte waren ein einziges Chaos, das war offensichtlich. Dennoch schien das eigentliche Problem woanders zu liegen.
    »Er ist bereits zweimal zur Ader gelassen worden«, sagte Aurelio zögerlich. »Danach hat sich sein Zustand jedes Mal verschlechtert.«
    »Man muss ihn eben häufiger zur Ader lassen«, meinte Tedesco.
    Von Bugiardini kam erneut ein Nicken.
    »Aurelio?«, sagte Granacci.
    Aurelio nahm seinen Mut zusammen. »Ich fürchte, der nächste Aderlass könnte sein letzter sein.«
    Rosselli nickte stumm. Tedesco stieß ein Schnaufen aus. Es war offensichtlich, dass er Aurelio für nicht kompetent hielt. Andererseits wollte er am Ende nicht als derjenige dastehen, der auf das falsche Pferd gesetzt hatte.
    »Ich weiß ein Rezept für eine Suppe, die ihm helfen könnte«, sagte Beato unvermittelt.
    Tedesco verdrehte die Augen. Was sollte das werden? Würden sie jetzt die Verantwortung für Michelangelos Leben in die Hände eines dreizehnjährigen Fattorino legen?
    »Es ist aus dem Kloster, wo ich aufgewachsen bin«, fuhr Beato unsicher fort. »Ich selbst bin einmal damit gesund geworden, als keiner mehr daran geglaubt hat.«
    Alle sahen Granacci an. Der wusste auch nicht weiter.
    »Was braucht man dazu?«, fragte Rosselli.
    Beato zählte auf: »Ein Huhn, Eier,

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