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Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus

Titel: Der Skandal der Vielfalt - Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker M. Heins
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Habermas nicht sagt, wo er die Grenze zieht zwischen abgelehnten Gruppenrechten und solchen »Rechten auf Selbstverwaltung«, zum Beispiel von Ureinwohnern, die er zwei Absätze vorher selbst verteidigt hat. 24
    Habermas denkt dualistisch. Die schon längst im demokratischen Rechtsstaat verankerten Rechte von diskriminierten Zuwanderern und anderen Minderheiten scheinen ihr Werk zu tun ganz unabhängig von der moralischen Geringschätzung, die diese Gruppen durch die Mehrheitsgesellschaft erfahren. Jene Rechte wiederum sollen nicht zu Gruppenrechten ausgebaut werden, worunter man auch jene Ausnahmeregelungen für Juden, Muslime oder Sikhs verstehen könnte, die bereits Brian Barry wortreich beklagt hat. In diesem Zusammenhang spricht Habermas davon, dass »der Schutz vonidentitätsbildenden Lebensformen und Traditionen« nicht den »Sinn eines administrativen Artenschutzes« habe. Mit dieser gegen Taylor zugespitzten Formulierung will Habermas jegliche staatliche »Überlebensgarantie« für bedrohte kulturelle Lebensformen kassieren und deren Fortbestand allein von der kontinuierlichen »kritischen Prüfung« ihrer Anhänger abhängig machen. Diesen müsse es offenstehen, »von anderen Traditionen zu lernen oder zu konvertieren und zu neuen Ufern aufzubrechen« (ebd.).
    Es ist Habermas zugute zu halten, dass er den Gedanken einer institutionellen Überlebensgarantie nicht nur für »Einwanderungskulturen«, sondern auch für die »Mehrheitskultur« verwirft (ebd.: 260). Das Ringen zwischen fluktuierenden Mehrheiten und Minderheiten um Fortbestand, Revision und Verschmelzung von kulturellen Lebensentwürfen und Traditionen findet allerdings statt vor der Drohkulisse einer weiteren Kraft, die Habermas einführt, nämlich der gesellschaftlichen Modernisierung. Habermas erinnert an die »vielen Subkulturen und Lebenswelten« der frühbürgerlichen Gesellschaft sowie daran, dass sie allesamt »auf gewaltsame Weise vom Modernisierungsprozeß erfaßt und zermahlen worden« sind (ebd.; meine Hervorhebung). Dies ist eine entscheidende Weiche in seinem Gedankengang. Eindeutig wird die »erzwungene Assimilation« (ebd.: 268) von Migranten abgelehnt; zugleich wird eine vermeintlich objektive, gesichtslose Kraft ins Spiel gebracht, die dieselbe Aufgabe ganz ohne staatlichen Zwang erledigt. Es ist der schicksalhafte »beschleunigte Wandel moderner Gesellschaften«, der alle »stationären«, »rigiden« Lebensformen, wie sie vielleicht weiterhin aus weniger modernen Weltregionen in die europäischen Gesellschaften eindringen, »sprengt« (ebd.: 261). Habermas scheint es für ausgeschlossen zu halten, dass auch moderne Lebensformen »stationär« und »rigide« werden können, indem sie zum Beispiel den geschmeidigen Umgang mit kultureller Fremdheit oder eine Anpassung an den globalen Klimawandel vereiteln. Stationär und rigide sind vielmehr immer nur die Lebensformen der anderen. Die Idee der eigentümlichen Sprengkraft der Modernisierung erlaubt es Habermas zudem, die Haltung eines desengagierten Zuschauers einzunehmen, der dem Spektakel des Sprengens und Zermalmens von Kulturen beiwohnt, die es mangels Selbstreflexion ohnehin nicht verdient haben, zu überleben.
    Mein Fazit lautet, dass Habermas’ frühe Wortmeldung zur internationalen Debatte um den Multikulturalismus durch eine große Ambivalenz gekennzeichnet ist. Den kulturell Fremden wird zugebilligt, auch in den Aufnahmegesellschaften »ungekränkt« (ebd.: 260) in ihrer mentalen Herkunftswelt zu verbleiben und zu diesem Zweck die verbrieften Rechte derVerfassung in Anspruch zu nehmen; zugleich wird listig auf den Mahlstrom der Modernisierung verwiesen, der dieselben Fremden ganz ohne Zutun des Staates und der Mehrheitsbevölkerung aus ihren Herkunftskulturen herausreißt und dadurch ein neues Gleichgewicht der Lebensformen produziert. All dies geschieht, erstens, ohne dass neue Institutionen und Rechte geschaffen werden müssten, und zweitens, ohne dass der Mehrheitskultur zugemutet würde, über das bloße Erdulden hinaus neue ethische Haltungsideale gegenüber den als fremd markierten kulturellen Sitten und Gewohnheiten von Migranten und anderen Minderheiten einzuüben.
Revision der Kritik
    In der ersten Phase der Diskussion hat Habermas den Multikulturalismus im Grunde als ein Scheinproblem behandelt. Rigide Lebensformen, so seine Auffassung, werden ohnehin durch den Prozess der Modernisierung zum Verschwinden gebracht; anpassungsfähige und modernitätskompatible

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