Der Skandal (German Edition)
hätte dem Kerl am liebsten das Gehirn weggeblasen!« Schon wieder schießt die Wut in ihr hoch.
»Ich hätte dem Ausschuss gesagt, es war Notwehr«, sagt er. Sie sieht ihn lange an, er scheint es ernst gemeint zu haben. Irgendetwas warnt sie vor zu viel Offenheit. Sie kennt Aaron doch kaum. Er ist erst seit drei Monaten ihr Partner.
»Du musst die Nächste rechts«, sagt sie deshalb nur.
»Es ist wegen Dave, oder?« Er biegt rechts ab. »Stimmt’s?«
Wie lange dauert diese Fahrt denn noch?, denkt sie. Sie ist zu müde für solche Gespräche, viel zu müde, um ihm zu erklären, dass sie so gut wie niemandem vertraut, und neuen Partnern erst recht nicht.
»Er hat dir bei der Sache auf dem Schlitz -Gelände keinen Feuerschutz gegeben«, redet er weiter.
Dave, ihr damaliger Partner, hatte völlig überraschend die Nerven verloren, als sie von dieser Gang auf dem verlassenen Brauerei-Gelände beschossen wurden. Sie hatte Glück, dass die beiden Kugeln sie nur an der linken Schulter getroffen hatten.
»Schreibst du meine Biografie, oder was?«, brummt sie.
Er lacht.
Unvermittelt fällt ihr ein, wie sie ihm das erste Mal begegnet ist. In der Cafeteria im Gerichtsgebäude. Sie hatte eine Aussage zu machen und wollte für ein paar Minuten in Ruhe einen Kaffee trinken. Er saß allein an einem Tisch, an allen anderen Tischen ging es laut zu. Sie zögerte, er lächelte und sagte: »Sie können sich gern setzen.«
»Okay, aber ich will mich nicht unterhalten.«
»Ich mich auch nicht«, erwiderte er.
Sie haben tatsächlich nicht miteinander geredet, sie hat nur ein paarmal aufgesehen, und da hat er ihr zugelächelt.
Vielleicht ist sie eben ein bisschen zu ruppig gewesen. Na ja, denkt sie, kommt mal vor, morgen hat er es vergessen.
Sie will in ihr Bett und einfach nur schlafen – und keine tiefschürfenden Gespräche führen. Jetzt nicht und sonst auch nicht. Sie handelt lieber und tut, was getan werden muss, anstatt zu reden.
Endlich sind sie vor ihrem Haus angekommen.
»Danke.« Sie macht die Tür auf. »Bis morgen dann.«
»Hey, du hast den Typen geschnappt! Genieß es ein bisschen!« Er lächelt sie an, sie murmelt irgendetwas, steigt aus und wirft die Tür zu. Um diese Uhrzeit, in diesem Zustand ist sie noch weniger charmant als sonst, das weiß sie. Auch Aaron wird es jetzt gemerkt haben.
Er wartet mit laufendem Motor, bis sie die wenigen Meter über die wieder zugeschneiten Platten durch den Vorgarten gegangen ist. Dann erst fährt er los. Nach Hause zu seiner Freundin, denkt sie. Er hat doch bestimmt eine Freundin, oder nicht? Die ganzen Monate hat sie kaum noch richtig zugehört. Das ist nicht unser einziger Mordfall, du bist ja wie besessen, Chris, haben die Kollegen zu ihr gesagt. Aaron nicht, er hat ihr nur ab und zu einen besorgten Blick zugeworfen und ihr Vitamindrinks mitgebracht.
Sie schließt auf – und stolpert, als sie hineingehen will. Sie bückt sich und entdeckt zwei Pizzakartons.
»Tim, du Blödmann«, murmelt sie. Was seine eigenen Sachen angeht, ist er total pingelig. Bei ihr legt er den Müll einfach so vor die Tür. Ausgerechnet er, dem nichts sauber genug ist. Der noch nicht mal die Mülltüte über Nacht in seinem Haus ertragen kann. Sie will die Kartons aufheben. Seltsam, sie sind schwerer, als sie erwartet hat. Tatsächlich ist die Pizza noch drin. Frisch, aber eiskalt.
Sie nimmt die Kartons mit rein, damit sie keine Ratten anlocken, aber womöglich ist es denen auch zu kalt.
Sie macht die Tür hinter sich zu. Ihr Bruder ist noch wach, aus dem Wohnzimmer dringen Licht und Stimmen aus dem Fernseher bis in die Diele. Sie lässt immer das Licht brennen, bis sie nach Hause kommt.
Sie geht in die Küche, legt die Kartons auf die Arbeitsplatte, zieht ihre Jacke aus und hängt sie über die Stuhllehne.
»Tim?«
Er ist vor dem Fernseher eingeschlafen, denkt sie, das passiert ihm öfter. Da kann ich am besten abschalten , sagt er, sonst würde ich jede Nacht von meinen Patienten träumen! Sie fragt sich, ob Jay auch auf der Couch schläft. Er hat doch morgen wieder Schule. Seit ihr Bruder bei ihr eingezogen ist, ist Jay soviel ausgeglichener und fröhlicher geworden. Obwohl er abends später ins Bett geht, als wenn sich ihre Mutter um ihn kümmert.
Sie holt sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und geht über den Flur ins Wohnzimmer. Die Dielen knarren, und wieder ist sie froh, dass sie dieses alte Haus gekauft hat, mit Veranda und einem Garten für Jay.
Wenn er schon
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