Der Skandal (German Edition)
zu.
Mullers Blick bohrt sich in Christinas Augen. »Ich habe immer gedacht, ich kenne mich aus mit Menschen. Aber bei Ihnen weiß ich einfach nicht, woran ich bin. Lügen Sie? Spielen Sie mir etwas vor? Oder sind Sie einfach nur naiv?«
Eine Zeit lang hat Christina tatsächlich geglaubt, sie ist in einem Albtraum gefangen. Doch spätestens jetzt, als ihre Finger über das Foto tasten, ist diese Hoffnung dahin.
Er liegt auf der Seite, die Beine angezogen.
Sie versucht, etwas zu empfinden. Trauer, Wut, Bedauern, Schmerz, irgendwas … aber sie fühlt nichts. Sie ist lange genug Cop, um zu wissen, dass es normal ist, wenn Menschen auf extreme emotionale Situationen so reagieren.
»Detective Andersson«, Mullers Stimme dringt wie durch einen Nebel zu ihr, »haben Sie Pete Kondracki umgebracht?«
Christinas Augen brennen, ihre Kopfschmerzen sind unerträglich.
»Das Licht blendet, könnten Sie bitte eine Lampe ausschalten?«
»Nein, Sie wissen selbst, dass immer beide brennen. Haben Sie gestern Medikamente genommen?« Muller ist lauter geworden, ihre Stimme ist schneidend.
»Nein«, sagt Christina.
»Nein? Warum sind dann die Schachteln in Ihrer Handtasche?«
»Ich hab sie da immer drin.«
»Wir können leicht nachprüfen, ob Sie unter Tabletteneinfluss stehen. Sie haben angefangen, Tabletten zu nehmen, als Sie erfahren haben, dass Ihr Sohn …«
»Nein!«
Es entsteht eine Pause, dann sagt Muller frostig: »Ich hatte Ihnen psychologischen Beistand empfohlen, erinnern Sie sich? Warum haben Sie den nicht angenommen? Schildern Sie mir, was gestern passiert ist. Sie hatten am Abend eine Unterredung mit Pete Kondracki. Er war bei Ihnen. Erinnern Sie sich? Was haben Sie mit ihm besprochen?«
»Ich … ich weiß es nicht mehr.« Sie ist benommen vor lauter Erschöpfung.
»Detective Andersson! Wir sind jetzt durch mit all den Ausflüchten. Es geht um Mord! Und Sie sind außerstande, mir eine glaubwürdige Erklärung zu liefern!«
Ja, das ist sie.
Pete war bei ihr. Und sie hat ihm etwas gesagt, was sie ihm nie hatte sagen wollen.
Ruth Muller lehnt an der Wand neben der Tür, sie hat die Arme vor der Brust verschränkt.
Die Fotos liegen noch immer vor Christina auf dem Tisch.
Inzwischen ist sie schon zwei Stunden hier.
Muller setzt sich wieder hin.
»Gut«, sagt sie. »Sein Genick ist gebrochen. Sie können Karate, richtig?«
Christina schweigt. Sie muss nicht erwähnen, dass sie bis vor einem halben Jahr auch Jiu Jitsu regelmäßig trainiert hat. Muller ist darüber informiert. Sie braucht nur Christinas Personalakte aufzuschlagen. Muller zieht den roten Folder zu sich. Die Fotos lässt sie vor Christina liegen.
»Wir haben Fasern Ihrer Kleidung an der Kleidung des Toten gefunden.«
Christina deutet zur Wand hinter Muller. »Wer sieht uns zu?«
Muller antwortet nicht.
Christina beugt sich über den Tisch zu Muller. »Sind Sie so sicher, dass Sie jedem hier trauen können?«, fragt sie leise.
Muller lehnt sich zurück. »Sie leiden unter Verfolgungswahn. Sie sehen überall nur noch Feinde. Sie haben sich in diese Sache hineingesteigert, anstatt sie Ihren Kollegen zu überlassen. Das nenne ich Selbstüberschätzung, Andersson. Das ist unprofessionell.« Muller blättert wieder in der Akte. »Wir haben bei Ihnen Provigil, Ritalin und Valium gefunden. Nehmen Sie diese Medikamente?«
Es hat keinen Sinn, zu leugnen, das weiß Christina. Jeder Test würde es beweisen. Also sagt sie: »Im Augenblick, ja.«
»Ich muss Ihnen nicht erklären, dass es dadurch zu emotionalen Kurzschlüssen kommen kann.« Muller sieht auf. »Was ist zwischen Ihnen und Pete Kondracki passiert? In welcher Beziehung stehen Sie zu ihm?«
»Wieso haben die Cops meinen Kofferraum aufgemacht?«
Muller antwortet nicht gleich, schließlich sagt sie: »Sie halten ihn für den Mörder Ihres Bruders – und deshalb haben Sie ihn umgebracht. War es nicht so?«
»Nein, so einfach ist es nicht …«, sagt Christina zögernd.
1
Christina Andersson lacht.
Ed erzählt den Witz nun schon zum dritten Mal: »Und dann, müsst ihr euch vorstellen, kommt Rob und sagt zu diesem Wichser: Du Arschloch, warum hast du den Penner nicht zwei Stunden früher erledigt, jetzt hast du mir meine Kaffeepause vermiest!«
Er kriegt sich kaum ein vor Lachen, Rob haut auf den Tresen, und Gary krümmt sich, als hätte er Bauchweh. Mit so viel Bier und Whisky intus, denkt Christina, wird selbst der schlechteste Witz zum Knaller. Nur Aaron Zelman ist noch nüchtern.
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