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Der Skandal (German Edition)

Der Skandal (German Edition)

Titel: Der Skandal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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gehalten hat. Ein kleines warmes, atmendes Wesen. Sie hat vor Freude geweint, ja, daran erinnert sie sich noch genau …
    »Ms. Andersson?« Die Stimme des Arztes holt sie zurück. Er deutet ein Lächeln an. »Es war ein Lungensteckschuss. Sie wissen, was das bedeutet?«
    Sie nickt benommen. Das Projektil ist in die Lunge eingedrungen und dort stecken geblieben.
    »Gut. Wir konnten das Projektil entfernen. Allerdings …«, er lächelt immer noch, »mussten wir einen Teil der Lunge entfernen. Kein Grund zur Sorge,«, fügt er schnell hinzu.
    Sie versucht sich vorzustellen, was das bedeutet. Es gibt Menschen, die haben nur einen Lungenflügel, nur eine Niere, nur …
    »Glücklicherweise hat die Kugel weder das Herz verletzt noch wichtige Gefäße.«
    »Wird er es schaffen?«
    Das Lächeln verschwindet. »Wir tun alles, Ms. Andersson. Aber … er hat viel Blut verloren.«
    Er schafft es doch, oder?, will sie fragen, er schafft es, ja?, aber sie bringt kein Wort heraus.
    »Wir haben ihn ins künstliche Koma versetzt. Er muss beatmet werden.«
    Die schrecklichen Worte kennt sie.
    »Wir verlegen ihn jetzt auf die Intensivstation. Er hat gute Chancen. Es kommt gleich jemand zu Ihnen und nimmt die Personalien auf.«
    Er geht mit schnellen Schritten davon. Sie sieht hinter ihm her, ihm, dem das Leben ihres Kindes in die Hand gelegt wurde. Zufällig, weil er gerade Dienst hat. Und wenn er nicht gut genug ist? So wie manche Detectives nicht gut genug sind und ein Mörder nicht gefasst wird? Sie will etwas hinter ihm herrufen. Sind Sie überhaupt fähig, eine solche Verantwortung zu übernehmen? Wie ist Ihre Erfolgsbilanz? Wo haben Sie studiert?
    »Christina! Mein Gott!« Die Stimme ihrer Mutter und harte, schnelle Schritte hallen im Flur. »Wo ist Tim? Wie ist das passiert?«, fängt sie an und bleibt direkt vor Christina stehen. Die Augen schreckgeweitet, die Wangen eingefallen, blass, ungeschminkt. Sie, die nie ungeschminkt das Haus verlässt.
    Christinas Vater kommt zwei Schritte hinter ihr her, groß und lang und dünn, mit hängenden Schultern und stumm wie immer. Ihre Mutter trägt eine Jogginghose unter ihrem teuren Wintermantel, ihre Füße stecken in Boots. Sie, die immer gepflegt und gut angezogen ist. Und ihr Vater sieht verwirrt und verschlafen aus. Sein Mantelkragen ist halb hochgeschlagen, er trägt seine Gartenschuhe.
    Jetzt erst umarmt ihre Mutter sie, ganz kurz, wie immer, dann stößt sie sie von sich. So hat sie es schon immer gemacht, und in all den Jahren hat Christina ihre Mutter nie gefragt, warum sie das tut. »Mein Gott! Vor deinem Haus standen die vielen Polizeiwagen, wir haben nur die Sirenen gehört, aber …«, bringt ihre Mutter heraus. Unbeholfen hält Christinas Vater ihr ein Taschentuch hin.
    »Tim … und was ist mit Jay?«, fragt sie.
    »Sie haben ihn ins künstliche Koma versetzt … Er schwebt noch in Lebensgefahr«, wiederholt Christina. Es klingt so sachlich, als hätte das alles nichts mit ihr zu tun.
    »Mein Gott, Kind!« Ihre Mutter, eine ehemalige OP-Schwester, ist kalkweiß, sie lässt sich auf einen Plastikstuhl sinken. »Mein Gott …« Ihr Vater setzt sich langsam neben sie.
    Jetzt sitzen sie alle drei da. Sie, ihre Mutter und ihr Vater. Drei, nicht vier, denkt Christina, so wie früher, als sie noch ein Kind war und sie zusammen auf der Couch saßen und im Fernsehen Baseball ansahen und Eis oder Popcorn aßen. An jenen seltenen Sonntagen, wenn ihre Mutter keinen Wochenenddienst hatte und ihr Dad nicht an Autos herumbastelte.
    »So was hat es in unserer Gegend doch noch nie gegeben«, hört sie ihre Mutter sagen. »Wie, um Himmels willen, konnte das nur passieren?«
    »Maggie«, schaltet sich ihr Vater ein, »das weiß Christina doch auch noch nicht.« Auch seine Augen sind gerötet, er sieht noch übermüdeter aus als früher, wenn er bis spät am Abend in seiner Werkstatt Autos repariert hat.
    »Ich frag ja nur!«, fährt ihre Mutter ihn an. »Sie ist ja immerhin bei der Polizei! Da kriegt man doch ganz andere Informationen!«
    Christina schüttelt den Kopf. »Nein, ich weiß nicht, wer das war.«
    »Mein Gott, erschossen! Warum ausgerechnet Tim?«, fängt ihre Mutter wieder an, das Taschentuch mit ihren arthritischen Fingern knetend.
    »Es gibt oft keinen Grund«, hört sich Christina sagen. »Es passiert einfach, es trifft irgendjemanden, weil das Haus nicht beleuchtet war, weil sich jemand geirrt hat, weil jemand zur falschen Zeit am falschen Ort war, weil …«
    »Keinen

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