Der Skandal (German Edition)
zweimal hat die Getigerte ihn lange angesehen.
»Kennen Sie Gouverneur Carl Ochs?«, will der Journalist auf einmal wissen.
»Nicht persönlich. Warum?«
Springsteen zeigt auf seine verbundene Nase. »Das war er.«
»Der Gouverneur?«
»Genau der.«
Harpole lächelt verblüfft.
Springsteen blinzelt ins Grauweiß des Schnees. »Ich hab ihn nur was gefragt – und peng! Schon hatte ich seine Faust im Gesicht.«
Harpole ist stehen geblieben. »Und warum erzählen Sie mir das?«
»Ich dachte, es interessiert Sie vielleicht. Ochs hat sich doch für die Wiedereröffnung der Mine stark gemacht. Wir dürfen den Chinesen nicht den Markt überlassen – und so was.«
»Damit hat er ja auch recht.«
Springsteen sieht Harpole durch seine runden Brillengläser an. In seinem Blick liegt etwas Unangenehmes, ja sogar etwas Verschlagenes, das Harpole ganz und gar nicht mag. »Was würden Sie zu einem Gouverneur sagen, der einen persönlichen finanziellen Vorteil aus der Wiedereröffnung der Mine zieht?«, redet Springsteen weiter.
»Das ist nicht korrekt, würde ich sagen.«
»Genau, das ist nicht korrekt.« Springsteen nickt. »Aber es kommt noch besser: Er schafft die Gelder auch noch außer Landes, sagen wir mal, nach … Antigua.«
»Antigua?«
»Zum Beispiel.«
Harpole mustert den Typen. Er hat was von einem Junkie.
»Warum erzählen Sie mir das eigentlich? Warum schreiben Sie es nicht gleich in Ihrer Zeitung?«
Springsteen zeigt seine Zähne. Sie sind schief gewachsen und gelblich. »Ich hör mich gern um. Ich möchte wissen, was die Leute so denken.«
Springsteen setzt die Brille ab und haucht auf die Gläser. »Wissen Sie was, Hal? Ich wette, Sie haben Anweisung von oben, dass Sie mir was Gutes zu essen und zu trinken geben und mir die Mine in den tollsten Farben schildern, stimmt’s?«
Harpole überlegt, ob er den Typen einfach wieder zu seinem Auto zurückbringen soll.
»Aber Sie sind nicht so einer, Hal, das spüre ich.« Springsteen deutet mit einem Finger auf Harpoles Brust. »Sie haben ein Gewissen. So was kommt nicht so oft vor. Die meisten geben die Verantwortung einfach weiter. Aber Sie sind anders. Sie glauben nicht nur an Gott. Sie handeln auch in seinem Sinn.« Springsteen legt den Kopf schief. »Stimmt’s?«
Und da ist sie plötzlich wieder, DIE STIMME – und sie bringt Harpole dazu, etwas zu sagen, das er gar nicht sagen wollte, nicht zu einem Fremden und schon gar nicht zu diesem Typen, der sein Gewissen verkauft, wenn man ihm nur den richtigen Preis dafür zahlt. DIE STIMME – Gottes Stimme – ist so eindringlich und bestimmend, dass sich jeglicher Widerspruch verbietet.
Und deshalb sagt Harpole in diesem Moment zu Springsteen: »Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas, worüber Sie schreiben können.«
An den Straßenrändern bis hin zum Wald, der sich auf beiden Seiten ausbreitet, türmen sich Schneehaufen, und Christina ist zuerst an dem kleinen Waldweg vorbeigefahren.
Aaron hat ihr Bescheid gegeben. Ein Sheriff Pascoli hätte das Auto von Sandra Kondracki gefunden. Und Christina ist sofort losgefahren, über frostglatte Straßen, hinauf in den Norden, Richtung Elkhart Lake, im letzten Moment hat sie die Abzweigung zur County Road J zum Sheboygan Lake erwischt. In einer Kurve konnte sie für einen Augenblick die weiße Fläche des Elkhart Lake und die dunklen Punkte darauf erkennen. Eisfischer.
»Sie hätten auch einfach Ihren verdammten Namen sagen können«, sagt der Sheriff nicht gerade freundlich zu Christina, als sie ihm ihren Ausweis zeigt.
Christina steckt ihn kommentarlos in ihre Daunenjacke zurück. Ihr Atem bleibt als weiße Wolke vor ihrem Gesicht hängen. Die Füße spürt sie schon jetzt kaum noch.
Sheriff Pascoli, wie er sich vorstellt, trinkt einen Schluck aus seiner Thermoskanne, erst dann steigt er aus. »Wieso übernehmen das die von der Mordkommission? Glaubt ihr, ich kann nicht selbst nachsehen, ob jemand da hinten im Blockhaus ist?«
Er knallt die Autotür zu und baut sich vor Christina auf. Er ist so groß wie sie, aber er wiegt mindestens doppelt so viel.
»Die Vermisstenmeldung kann etwas mit einem Mord zu tun haben«, erklärt Christina knapp, »deshalb.«
»Aha, und wer ist diese Sandra Kondracki?«
Sie ignoriert seine Frage. »Haben Sie was in dem Wagen gefunden?«
Er zeigt zu dem silberfarbenen Taurus. »Auf dem Rücksitz.«
Sie geht zu dem Wagen und öffnet die hintere Tür. Dort liegt ein schwarzer Mantel. Der könnte Sandra Kondracki gehören,
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