Der Skandal (German Edition)
Angst hat, dass Sandra abtreiben lässt, aber man hat ihm keine Auskunft gegeben.
»Wieso sollte Sandra abtreiben wollen?«, hat sie gefragt.
»Mein Gott, Chris! Es ist nur so ein Gedanke! Wir hatten ja nicht gerade eine leichte Zeit. Sandra ist fertig mit den Nerven, und ihr Therapeut ist tot!«
Sie hat ihm geraten, eine Vermisstenanzeige aufzugeben.
Aber er will unbedingt eine Garantie, dass die Angelegenheit diskret behandelt wird. »Wozu denn das?«, hat sie ihn genervt gefragt, »du bist kein Baseball- oder Footballstar, und Sandra ist kein Popstar, und die Polizei hat Besseres zu tun, als den Sentinel anzurufen und dem erstbesten Journalisten etwas über eure Ehe zu erzählen …«
Christina öffnet leise die Tür des Krankenzimmers. Ihre Mutter zuckt zusammen. »Ach, hast du mich erschreckt!« Sie hat sich Stühle zusammengeschoben und sich eine Decke über die Beine gelegt.
»Ich konnte nicht früher.« Christina setzt sich aufs Bett und nimmt Jays Hand. Als er sie ansieht, glaubt sie ein Lächeln zu erkennen.
»Es geht ihm gut. Nur Officer Phillips und seinen Kollegen mag er nicht«, sagt ihre Mutter und setzt sich auf. »Christina, wie siehst du denn aus?«
»Kleiner Unfall, schon okay.« Die Wahrheit würde ihre Mutter nur noch mehr beunruhigen. Und wegen Jay ist sie sowieso schon besorgt genug.
»Was für ein Unfall?«
Sie schüttelt unmerklich den Kopf und gibt ihrer Mutter damit zu verstehen, dass sie vor Jay nichts erzählen will.
Ihre Mutter runzelt die Stirn, fragt aber nicht weiter.
Sie sieht auf einmal so alt aus, denkt Christina.
»Du musst unbedingt mal schlafen, Mom. Tut mir leid, dass ich dich so strapaziere.«
»Ach, es ist gut, wenn man gebraucht wird. Ich würde sonst verrückt werden.« Tränen laufen ihr über die Wangen.
Christina zupft ein Kleenex aus der Box auf Jays Nachttisch und gibt es ihr.
»Gibt es was Neues?«, fragt ihre Mutter und trocknet sich Augen und Wangen.
»Ich bin suspendiert.«
»Du bist was? «
»Suspendiert«, wiederholt Christina, während sie wieder Mullers Stimme im Ohr hat.
»Aus welchem Grund?«
»Ich hänge emotional zu sehr drin, verstehst du?« Das klingt plausibel, und das wird ihre Mutter ihr abkaufen, ohne weiter zu fragen. »Was sagen die Ärzte?«
»Jay spricht gut an auf die Antibiotika.« Ihre Mutter seufzt.
»Wie geht’s Dad?« Christina fällt ein, dass sie ihn in der Zwischenzeit nicht mehr gesehen hat.
Ihre Mutter winkt ab. »Ach, wie soll es ihm gehen? Du kennst ihn doch. Es ist noch schlimmer geworden. Er starrt nur vor sich hin oder sitzt mit seinem iPad auf der Couch. Er will nicht mehr aus dem Haus. Beim Essen sitzen wir schweigend da, und abends schläft er beim Fernsehen ein.« Sie tupft sich wieder über die Augen. »Ich hab gesagt, er soll zum Arzt gehen. Er hat einen Schock. Aber er will natürlich nicht.«
Christina betrachtet ihre Mutter. In den letzten Tagen sind sie sich nähergekommen, und sie hat eine Seite an ihrer Mutter entdeckt, die sie bisher nie wahrgenommen hat. Zum ersten Mal hat ihre Mutter kein Patentrezept für ein Problem.
»Geh trotzdem mal nach Hause, Mom«, sagt Christina und zieht endlich ihre Jacke aus. »Ich bleib noch ein paar Stunden hier.«
Zum Abschied streicht ihre Mutter ihr unbeholfen über die Haare. »Pass auf dich auf, Liebes.«
Die nächsten Stunden, die sie an Jays Bett sitzt, verbringt Christina in einer Art Halbschlaf. Erinnerungen an die letzten Jahre mit Tim und Jay – und auch die letzten Tage der Ermittlungen ziehen vorbei, werden zu einem immer schneller fließenden Strom aus Bildern und Stimmungen.
Als sie aufwacht, ist es halb zwei Uhr nachts, und die Nachtschwester steht mitten im Raum.
»Mrs. Andersson, wollen Sie nicht nach Hause gehen? Seine Werte sind in Ordnung, Sie müssen sich keine Sorgen machen«, sagt sie.
Christina blinzelt ins Neonlicht. Es fällt ihr schwer, aber schließlich steht sie doch auf. Jay schläft tief und fest. »Aber rufen Sie mich sofort an, wenn etwas ist.«
Sie streicht Jay zum Abschied über die Wangen und geht hinaus. Auf dem Flur ist es still, nur das gedämpfte Piepsen der medizinischen Geräte ist zu hören. Wie immer. Aber irgendetwas ist anders. Und dann fällt es ihr auf: Der Stuhl neben der Tür ist leer.
»Officer?«, ruft sie und sieht den leeren Flur hinunter.
»Suchen Sie den Polizisten?« Die Krankenschwester kommt aus Jays Zimmer.
»Er soll doch hier aufpassen!« Sie kann es nicht glauben. Wer weiß, wie oft er
Weitere Kostenlose Bücher