Der Skandal (German Edition)
er und legt ihr die Hand auf den Arm. »Du solltest zum Arzt gehen.«
»Ich renne andauernd in die Klinik.« Seine Berührung irritiert sie, sie kann nicht mehr klar denken.
Sein Handy klingelt. Er hört nur zu, und als er auflegt, sagt er: »Fahr mich zurück. Ich muss los.«
Ihr Blick fällt auf die Rolle mit den Kaubonbons. Sie steckt sich gleich zwei davon in den Mund. Der beißende Pfefferminzgeschmack brennt auf der Zunge, aber er klärt nicht ihre Gedanken.
»Was hast du dazu zu sagen?« Ruth Muller breitet die Fotos auf der Küchentheke aus. Sie ist heute früher nach Hause gekommen und steht jetzt mit Alex in der Küche, wo er sich gerade ein Sandwich macht. Er wirft nur einen kurzen Blick auf die Fotos, dann streicht er weiter Mayonnaise auf den Toast. Wie er da so steht, in seiner sackartigen Rapperhose, die teuren Joggingschuhe nicht zugeschnürt, kommt er ihr so fremd und feindselig vor, dass sie sich fragt, ob das da wirklich ihr Sohn ist, den sie geboren hat, den sie bis zum dritten Lebensjahr bei sich im Bett hat schlafen lassen, weil er sich immer gefürchtet hat, wenn es dunkel war.
»Ich rede mit dir, Alex!«
Immerhin zuckt er ein bisschen zusammen. »Warum tust du so was? Meinst du, die nehmen dich an der Uni, wenn rauskommt, dass du mit Drogen dealst? Und hast du mal an Adam und an mich gedacht? Wir stehen beide in der Öffentlichkeit!« Sie ist laut geworden, lauter, als sie wollte.
Sein verächtlicher Blick trifft sie. »Immer geht es nur um euch und eure Scheißkarrieren!« Dann dreht er sich um und geht mit seinem Sandwich hinaus.
Sie ist sprachlos. Doch dann wird ihr klar, dass sie so einfach nicht kapitulieren will. Sie geht hinter ihm her. Immerhin bleibt er stehen.
»Willst du dein Leben so ohne weiteres wegwerfen? Hat deine Freundin dich dazu gebracht? Willst du ihr damit imponieren? Mit Geld um dich werfen? Glaubst du, das ist cool?«
»Autsch!«, sagt er mit herablassender Stimme. Er zuckt mit den Schultern und geht weiter.
»Alex, bleib hier! Versuch nicht, diese Spielchen mit mir zu spielen!«
»Verhaftest du mich jetzt?«, sagt er mit provozierendem Grinsen. »Oder ziehst du deine Knarre und erschießt mich?« Langsam schlurft er den Flur hinunter und die Treppe hinauf zu seinem Zimmer. Wütend und verletzt – keiner außer Alex schafft es, sie so wütend zu machen – läuft sie hinter ihm her und reißt die Tür zu seinem Zimmer auf.
Er sitzt schon wieder am Computer und beachtet sie nicht. Sie versucht sich zu beherrschen, denn sonst hat sie gar keine Chance. Also fragt sie so ruhig und sachlich wie möglich: »Warum machst du das? So bist du doch gar nicht! Du bist doch kein Dealer!«
Er zuckt mit den Schultern. »Du kennst mich doch gar nicht. Für dich sind doch alle anderen wichtiger, wichtiger als ich – und Adam.«
»Wie kommst du darauf? Ihr seid mir doch das Wichtigste …«
»Den Mist glaubst du doch selbst nicht!« Er lacht verächtlich.
Noch nie hat sie sich so machtlos gefühlt – und so gedemütigt. Wortlos verlässt sie sein Zimmer und zieht die Tür hinter sich zu. Sie geht hinunter ins Wohnzimmer und betrachtet die Fotos auf dem Kaminsims. Alex in seinem Trikot. Sie hat nur so wenige Spiele gesehen. An jenem Tag, als Adam dieses Foto gemacht hat, hat noch vor dem Anpfiff ihr Telefon geklingelt. Bei einer Schießerei im Midtown Center war ein Polizist tödlich getroffen worden. Sie hat Alex noch nicht einmal Bescheid geben können. Erst nach dem Spiel hat Adam ihm gesagt, dass sie wegmusste. Ähnlich war es bei Schultheateraufführungen, Geburtstagsfeiern …
7
Im Klinikaufzug schließt Christina die Augen, nicht nur, weil sie ihr Gesicht nicht sehen will. Obwohl sie gestern Abend, nachdem sie wieder Stunden bei Jay verbracht hatte, todmüde ins Bett gefallen ist, konnte sie erst einschlafen, als sie zwei Schlaftabletten genommen hat. Es ist also kein Wunder, dass sie sich heute Morgen selbst nach zwei Tassen Rainforest Espresso Extra Bold immer noch benebelt fühlt. Jay liegt nicht mehr auf der Intensivstation, hat ihre Mutter ihr vor einer Stunde berichtet. Worauf sie sich gleich wieder auf den Weg gemacht hat. Jay fehlt ihr so sehr. Sie will ihn wiederhaben. Bei sich. Dann wird alles anders, schwört sie sich. Sie will mehr Zeit für ihn haben. Allerdings hat sie noch keine Ahnung, wie sie das mit ihrem Job vereinbaren soll.
Auf dem Weg in die Klinik hat Pete angerufen. Er ist völlig verzweifelt. Er hat mehrere Kliniken angerufen, weil er
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