Der Skandal (German Edition)
steckt.
Die Metalltür geht knirschend auf, Harpole schaltet das Licht an und kneift die Augen zu. Grelles Licht reflektiert von den Metallrohren und -platten, von Glasscheiben und Boxen mit Werkzeugen und Materialien. Er hat noch nicht alle Kisten aufgemacht, seit Jahrzehnten stehen sie hier rum, vergessen und nicht mehr gebraucht. Er geht zu der Werkbank, auf der ein Aquarium steht.
Neugierig geht Springsteen darauf zu – und zuckt angewidert zurück. »Mann, Harpole, das ist ja das reinste Horrorkabinett.« Er richtet seine Kamera auf die Fische im Aquarium.
»Ich hab sie … noch nicht lange da drin, nur ein paar Tage.« Harpole ist entsetzt, wie schnell die Fische diese schrecklichen Symptome zeigen. Die Geschwüre sind seit gestern noch größer geworden. Wie aufgeschnittene Pestbeulen sitzen sie auf den schlanken Fischleibern. Blitzlicht zuckt, während Springsteen das Aquarium fotografiert.
»Und was genau ist da drin, in dem ›Feuerpfuhl‹?« Er lässt die Kamera sinken.
Harpole zieht ein Blatt Papier aus der Tasche. »Hier.« Er beobachtet Springsteen, wie er die Liste, die darauf verzeichnet ist, überfliegt.
»Wer ist verantwortlich dafür?«
» Polycorp Minerals , die Bergbaubehörde und die Firma, die das Gutachten erstellt hat«, antwortet Harpole.
»Haben Sie denen denn nicht Bescheid gegeben?«
»Frenette weiß Bescheid.«
»Er weiß Bescheid? Und, was tut er?«
»Er hat sich noch nicht entschieden.«
»Wir sitzen hier also auf einem Pulverfass, ja? Beim nächsten Erdstoß kann die dünne Wand brechen, und die Giftbrühe fließt in den Lake Superior?« Springsteen deutet angewidert auf das Aquarium. »Und wir sehen dann auch so aus?«
»Möglicherweise reißt die Wand auch schon aufgrund des Drucks, der vom Giftsee ausgeht«, sagt Harpole nüchtern.
»Wenn das publik wird, muss die Mine schnellstens wieder geschlossen werden, oder? Und Sie und hundert andere verlieren ihren Job, können ihre Hypotheken nicht mehr zahlen, von denen, die Aktien gekauft haben, gar nicht zu reden …«, ereifert sich Springsteen.
Harpole muss darauf nichts antworten. So ist es. Genau so.
»Warum haben Sie mir das überhaupt erzählt? Ich bin Journalist, ich werde darüber was schreiben, das haben Sie doch gewusst.«
»Sie sind nur Ihrem Gewissen – und Gott gegenüber verantwortlich, sonst niemandem, Mr. Springsteen.«
»Moment mal, Sie lassen mich jetzt mit dieser Scheiße allein – damit es aussieht, als wäre ich schuld daran, wenn die Leute ihre Jobs und ihre Häuser verlieren?«
Harpole sieht ihn ausdruckslos an. Springsteen hat verstanden. Gott prüft ihn – und Harpole ist sein Werkzeug.
»Und Sie? Was machen Sie in der Zwischenzeit?
Harpole weiß schon lange, was er tun wird, er muss nur auf den richtigen Augenblick warten. »Ich werde tun, was Er von mir verlangt.«
»Frenette?«
»Nicht Frenette – Gott«, sagt Harpole, und es fühlt sich gut und richtig an.
»Hey, Mann, Scheiße! Sie sind doch Ingenieur! Es gibt doch bestimmt eine technische Lösung für das hier!«
»Es gibt für alles eine vordergründige Lösung, Mr. Springsteen.«
Springsteen hat es plötzlich eilig.
Harpole beobachtet, wie der Wagen des Journalisten zurück Richtung Ashland fährt.
»War das dieser Schreiberling von der Zeitung?« Keith steht plötzlich hinter ihm. »Wenn der hier was schlechtmacht … Ich hab schon mal meinen Job verloren wegen so ’nem Typen.«
Harpole lässt ihn weiterreden.
»Ich meine, wir wissen alle, dass es schöner wäre, wenn wir die Bäume nicht hätten abholzen müssen, oder? Aber wir müssen auch an uns denken und an unsere Kinder. Und ich brauche meinen Job. Ich kann schon jetzt kaum noch die Krankenversicherung zahlen.« Keith zieht den Helm tiefer in die Stirn. »Aber jammern hilft auch nicht weiter. Also, was steht an, Hal?«
Harpole beobachtet einen Schwarm Vögel. »Hier wird bald was passieren. Und wir sollten uns mal über unsere Rolle dabei Gedanken machen.«
Keith’ Blick ist voller Unverständnis.
»Du solltest dir was ansehen«, sagt Harpole und geht dahin, wo er vorhin mit Springsteen im Schnee gekniet hat.
Die Nummer 131, die Adresse in Sandras GPS, ist kein Einfamilienhaus, sondern ein zehnstöckiges Bürogebäude. Ratlos studiert Christina die zahlreichen Schilder:
Lehmann Associates ; Nelsson, Jenkins, Zellner – Law Office ; J. L. Dell; Dr. F. Amin – Practitioner ; A&V-Investment ; Thomas K. Mercier Engineering ; Whitner Public Relations ; Myers
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