Der Sklave von Midkemia
werfen. Seine Herrin hatte sich über ihn gebeugt, ihre dunklen Haare waren noch vom Schlafen gelöst, und ihre Stirn war sorgenvoll gerunzelt. Er war nicht in den Hallen des Roten Gottes, sondern im Hof vor dem Herrenhaus der Acoma. Auf friedlichem Boden. Gestalten bewegten sich im Nebel rings um sie; Krieger aus Lujans Truppe, die ihre Unterkünfte aufsuchten. Neben ihm hockte ein Diener mit Tüchern, um ihm das schweißnasse Gesicht abzuwischen. Keyoke holte mühsam Luft. Er ignorierte den wilden Schmerz seiner Verletzungen und sammelte seine geistige Kraft. »Lady Mara. Es droht große Gefahr. Lord Desto hat Eure Abwehrmaßnahmen durchbrochen.«
Mara strich ihm über die Wange. »Ich weiß, Keyoke. Der Spion, den sie gefoltert haben, konnte entkommen und uns benachrichtigen. So hat Lujan erfahren, daß er Euch in den Bergen zu Hilfe kommen mußte.«
Keyoke dachte zurück an die Kampfgeräusche, die ganz zum Schluß in den Bergen jenseits der Schlucht ausgebrochen waren. Es war also Lujan gewesen, der mit seinen Männern Desios Armee eingekreist und aus der Schlucht getrieben hatte.
»Wie viele sind noch am Leben?« wollte der Kommandeur wissen. Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen.
»Sechs Männer, Kommandeur«, sagte Lujan, »Euch eingeschlossen. Sie alle sind schwer verletzt.«
Keyoke schluckte schwer. Von hundert Kriegern und fünfzig Dienern hatten nur fünf außer ihm die Falle der Minwanabi überlebt!
»Macht Euch nichts daraus, daß die Seide verloren ist«, fügte Mara hinzu. »Die Cho-ja werden neue herstellen.«
Keyoke zog eine Hand unter den Decken auf seinem Oberkörper hervor. Er griff nach Maras Handgelenk. »Die Seide ist nicht verloren«, keuchte er. »Nicht ganz.«
Lujan entfuhr ein erstaunter Ausruf, und die Diener flüsterten aufgeregt. Erst jetzt sah Keyoke, daß auch Jican anwesend war; er kauerte mit strahlenden Augen an der Seite.
Keyoke gab ihnen unter einigen Mühen die nötigen Erklärungen und beschrieb genau, in welchen Felsspalten sie die Seidenballen versteckt hatten.
Mara lächelte. Der Ausdruck verlieh ihrem Gesicht jene zarte, strahlende Schönheit, die schon ihre Mutter besessen hatte, erinnerte sich Keyoke. Er sah auch die Tränen in ihren Augen glänzen und ihre Versuche, sie durch Blinzeln tapfer zurückzuhalten. »Keine Herrin hätte so viel verlangen können. Ihr habt Eure Pflicht ehrenvoll und außerordentlich gut erfüllt. Jetzt müßt Ihr ruhen. Ihr habt schwere Verletzungen.«
Keyoke fragte nicht, wie schwer genau; der Schmerz sagte ihm alles, was er wissen mußte. Er atmete seufzend aus. »Jetzt kann ich sterben«, flüsterte er leise.
Seine Herrin protestierte nicht; sie stand auf und gab Anweisungen, daß man ihren Kommandeur in das schönste Zimmer bringen sollte. »Zündet Kerzen für ihn an, und ruft Poeten herbei. Und Musiker sollen ihm mit ihrem Spiel huldigen. Denn alle sollen erfahren, daß er wie ein Held gekämpft und sein Leben für die Acoma gegeben hat.«
Sie war eine Herrscherin, dachte Keyoke, und doch bebte ihre Stimme. Vor ihm, der sie kannte wie eine Tochter, konnte sie ihre Trauer nicht verbergen. »Weint nicht um mich, Lady«, flüsterte er. »Ich bin zufrieden.«
Irgendwo hörte er Lärm und spürte Unruhe, und sein Bewußtsein drohte wieder im Nichts zu versinken. »Weint nicht um mich, Lady«, wiederholte Keyoke. Er wußte nicht, ob sie es gehört hatte, denn die Dunkelheit hatte ihn längst wieder eingehüllt.
Später bemerkte er den Duft von Kerzen und hörte leise Musik, und er spürte, wie eine friedliche Ruhe ihn umgab, abgesehen von den nicht nachlassenden Schmerzen. Er zwang seine müden Augen, sich zu öffnen, und sah sich auf einer Matte in einem Gemach mit wunderschön bemalten Wänden liegen. Die Bilder erzählten Geschichten von Kriegern voller Stärke und Heldenmut. Zwei Vielle-Spieler erfüllten den Raum mit einer kontrapunktischen Melodie, und dazwischen hörte er einen Poeten über die Taten sprechen, die er vollbracht, und die Siege, die er errungen hatte und die bis in die Zeit von Lord Sezu zurückreichten. Keyoke schloß die Augen wieder. Er war zufrieden. Er hatte große Verletzungen erlitten, als er Maras Ehre verteidigte, doch daran zu sterben war für einen Krieger, der im Dienst alt geworden war, ein gerechtes und angemessenes Schicksal.
Lautes Geschrei auf dem Flur übertönte die Musik, und der Poet stockte kurz.
»Verflucht, wollt ihr ihn wirklich da liegenlassen, bis er gestorben
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