Der Sklave von Midkemia
verwundete Bein; der Schmerz, der durch seinen Körper zuckte, zerriß ihn beinahe. Er schwitzte unter dem schweren Gewicht der Rüstung, doch er gab keinen Laut von sich. Im schwachen Licht der schwelenden Lagerfeuer wirkte das Fleisch um die Wunde rot – Täuschung des Lichts oder Zeichen einer Entzündung, er wußte es nicht.
Das unbarmherzige Pochen schien immer stärker zu werden. Unwichtig, dachte er. Eine Wunde war auch nur eine weitere Möglichkeit, die Größe eines Kriegers zu messen. Leben war Schmerz und Schmerz war Leben. Seine Gedanken wanderten hierhin und dorthin, während sein Körper versuchte, gegen die Qualen der Schlacht anzukämpfen, gegen Schmerzen und Erschöpfung und nicht zuletzt gegen das Alter.
Er mußte eingeschlafen sein, denn das nächste, an das er sich erinnerte, war ein Soldat, der ihn mit einem Rütteln an der Schulter weckte. Keyoke blinzelte durch verklebte Augenlider hindurch und versuchte, sich zu konzentrieren, was normalerweise rasch möglich war. Ohne weiter nachzudenken, wollte er aufstehen, doch ein Schmerz zuckte durch das ganze Bein, und er japste deutlich hörbar nach Luft. Der Soldat bot ihm seine Hand zur Unterstützung und versuchte sich sein Mitleid nicht anmerken zu lassen. »Kommandeur, es klingt, als würden sich bewaffnete Männer in den Bergen über der Schlucht nähern!«
Keyoke blinzelte zu dem schmalen Stück Himmel über den Felswänden. Es waren keine Sterne zu sehen, und auch die Dunkelheit hatte nicht nachgelassen, und so konnte er nicht sagen, wie spät es war. Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. »Wie lange noch bis zur Morgendämmerung?« fragte er.
Der Soldat runzelte die Stirn. »Vielleicht zwei Stunden, Kommandeur.«
»Löscht die Feuerstellen«, befahl Keyoke. Er war sicher, daß der Feind sie inzwischen von allen Seiten eingekreist hatte, und so humpelte er zu den Männern, die sich für den nächsten Angriff bereitmachten. Er runzelte die Stirn. »Wenn Irrilandi Truppen geschickt hat, um uns von den Bergen aus zu zermalmen, warum greifen sie dann in der Dunkelheit an?« fragte er, ohne sich bewußt zu sein, daß er laut nachgedacht hatte. Zu sehr machten ihm das Fieber und die Schmerzen zu schaffen.
Dann hallte ein lautes Krachen über die Lichtung. Die Barrikade zerbarst förmlich unter einer Woge von Kriegern in schwarz-orangefarbenen Rüstungen, und die verteidigenden Acoma wurden in alle Richtungen geschleudert. In einem Hagel von kleineren Steinen und stinkendem Needra-Fleisch brach ein schwerer Baumstamm durch die Brustwehr. Die Minwanabi hatten im Schutz der Dunkelheit einen Rammbock den kurzen Engpaß entlanggetragen und fegten das Bollwerk, das sie so lange aufgehalten hatte, förmlich beiseite.
Soldaten in schwarz-orangefarbenen Rüstungen stürmten schreiend in die Schlucht, während die Acoma sich ihnen hastig entgegenstellten. Keyoke rief den Dienern zu, Schutz hinter dem Bollwerk aus Seide zu suchen. Immer mehr Soldaten fielen zuckend im Todeskampf oder stöhnten unter tödlichen Verwundungen. Immer heftiger tobte der Kampf in der Schlucht. Körper wanden sich auf dem Boden oder lagen zermalmt zwischen den Steinen und großen Ästen der zerstörten Barrikade; andere krümmten sich, aufgespießt. Einige wenige tasteten mit den Händen nach ihrem Schwert, trotz gebrochener Beine und zerschmetterter Körper.
Keyoke sah dies alles, ohne den Schrecken richtig zu begreifen, denn immer mehr Minwanabi-Soldaten strömten durch die Lücke. Zwar paßten nur ein oder zwei Männer auf einmal durch den Engpaß, doch der Eingang war offen, und die Acoma konnten sie nicht aufhalten.
Keyoke zog sein Schwert. Sein Helm lag noch dort, wo er geschlafen hatte. Er verwarf den Gedanken, nach ihm zu suchen, da er nicht wußte, ob er mit seinem Bein die unnötigen Schritte überstehen würde. Nur der Wille der Götter entschied jetzt darüber, ob er stolz als Kommandeur der Acoma sterben würde oder einfach als einer der unzähligen namenlosen alten Soldaten. Doch angesichts der Bedrohung, der Mara ausgesetzt war, war das von geringer Bedeutung, befand er.
»Verbrennt die Seide!« rief er einem Diener neben sich zu, der auf Befehle wartete. Der Mann verneigte sich rasch und eilte davon, und kurz darauf warfen treue Diener flammende Fackeln auf die aufgetürmte Seide. In dem flackernden, unzuverlässigen Schimmer stolperte Keyoke eilig weiter. Durch den fiebrigen Nebel in seinem Kopf nahm er die Schreie sterbender Soldaten wahr, das
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