Der Sklave von Midkemia
ihm entzogen hatten. »Sie hat keinen großen Anführer für ihre Armee, keinen meisterhaften Taktiker, der Euren Platz einnehmen könnte.«
Der Mann in den Kissen blieb vollkommen reglos. Kevin runzelte die Stirn und versuchte es noch einmal, doch sein Unbehagen war jetzt deutlich spürbar. »Ihr benötigt keine Beine, um Euren Nachfolger weiter ausbilden oder ihm Ratschlage in Sachen Kriegsführung geben zu können.«
»Ich benötige auch keine Beine, um zu wissen, daß du zu weit gegangen bist«, unterbrach Keyoke. Die Anstrengung forderte ihren Tribut. Er versank noch tiefer in den Kissen. »Wer bist du eigentlich, Barbar, daß du es wagst, meinen Dienst diesem Haus gegenüber zu beurteilen?«
Kevin wurde tiefrot und stand auf. Er schien offensichtlich peinlich berührt, doch auf unbegreifliche Weise auch getroffen. Er ballte die Fäuste. »Ich bin nicht gekommen, um Euch zuzusetzen, sondern um Euch zum Nachdenken zu bringen.« Dann ging der Rothaarige, als wäre er verärgert. An der Tür drehte er sich noch einmal um, aber wieder wich er Keyokes Blick aus. »Auch Ihr liebt sie«, sagte er anklagend. »Doch wenn Ihr kampflos sterbt, beraubt Ihr sie des besten Mannes, den sie hat. Ich behaupte, Ihr wählt einen einfachen Weg. Euer Dienst ist noch nicht beendet, alter Mann. Wenn Ihr jetzt sterbt, verlaßt Ihr unerlaubt Euren Posten.«
Er war fort, noch ehe Keyoke die Kraft zu einer Antwort sammeln konnte. Plötzlich schienen die Kerzen zu hell, die Schmerzen zu stark zu sein. Ungerührt nahmen die Musiker ihre Melodie wieder auf. Keyoke lauschte, doch sein Herz fand keine Erleichterung. Die Verse des Poeten hatten ihren Reiz verloren und waren nur noch leere Worte, die lang zurückliegende und fast vergessene Ereignisse aufzählten, als er in tiefen Schlaf fiel.
Mara wartete draußen im Flur. Es waren keine Diener bei ihr, und sie stand so reglos im Dunkeln, daß Kevin sie beinahe übersehen hätte und gegen sie geprallt wäre. Nur seine schnellen Reflexe brachten ihn abrupt zum Stehen, während er noch dabei war, sich die Augen zu wischen.
»Du bist mir eine Erklärung schuldig«, sagte sie, und obwohl ihre Beherrschung perfekt war und ihre Stimme fest, kannte Kevin sie gut genug, um ihre Wut nicht zu überhören. Ihre Hände spielten mit den Ärmeln ihrer Robe, während sie fortfuhr: »Keyoke hat unsere Soldaten schon in den Kampf geführt, als ich noch nicht einmal am Leben war. Er stellte sich Feinden in Situationen, die sich vorzustellen genügt, um uns übrigen Alpträume zu verschaffen. Er hat ein Schlachtfeld und einen dem Tode geweihten Herrn verlassen, obwohl der Befehl ihm das Herz zerrissen hat, nur um mich aus Lashimas Tempel zu holen und damit den Namen der Acoma am Leben zu erhalten. Wenn es noch einen Natami im Hain gibt, der unsere Ehre schützt, ist es allein Keyokes Verdienst. Wie kannst du – ein Sklave und Barbar – es wagen, ihm zu unterstellen, daß er nicht genug getan hat?«
»Nun«, meinte Kevin, »ich gebe zu, daß ich ein großes Mundwerk habe und manchmal nicht weiß, wann ich es halten soll.« Er lächelte sie in jener plötzlichen, spontanen Weise an, die sie immer schon entwaffnet hatte.
Mara seufzte. »Warum mußt du dich immer wieder in Dinge einmischen, von denen du nichts verstehst? Wenn Keyoke jetzt als Krieger sterben möchte, ist es sein Recht, und es ist uns eine Ehre, ihm den Übergang so angenehm wie möglich zu machen.«
Kevins Lächeln verschwand. »Wenn ich an eurer Kultur etwas auszusetzen habe, Lady, dann, daß ihr das Leben nicht wichtig genug erachtet. Keyoke ist ein brillanter Taktiker. Sein Verstand ist genial, nicht sein Schwertarm, den ein jüngerer Mann ohnehin besiegen kann. Doch ihr alle steht nur da und schickt ihm Poeten und Musiker! Ihr wartet darauf, daß er seinen Tod als Krieger stirbt, und verschwendet die Jahre an Erfahrung, die eure Armee so dringend benötigt.«
»Und was schlägst du vor?« unterbrach Mara. Ihre Lippen waren blaß.
Kevin erschauderte unter der Intensität ihres Blickes, doch er fuhr fort: »Ich würde Keyoke in die Position eines Beraters erheben, wenn nötig ein neues Amt für ihn einrichten. Dann würde ich die besten Heiler kommen lassen. Die Wunde in seinem Bauch kann ihn immer noch töten, sicher. Doch die Menschen in unseren beiden Kulturen unterscheiden sich bestimmt nicht so sehr, daß ein Mann, selbst ein sterbender, bei euch gerne mit dem Gefühl aus dem Leben geht, nutzlos zu sein.«
»Für einen gemeinen
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