Der Sklave von Midkemia
Unverwüstlichkeit wiedererlangt hatte; sie war wieder stark. Doch auf ihren Schultern lastete das Wohlergehen all derer, die auf den ausgedehnten Gütern der Acoma lebten, angefangen von den angesehenen Maklern und Beratern bis zu den niedersten Küchenjungen. Die Angst um ihren kleinen Sohn verfolgte sie ständig, im Wachen und im Schlafen, und Kevin fragte sich, wie lange sie das noch aushalten konnte, ehe sie zusammenbrechen würde.
Er stand auf, schlang eine Robe um seine Schultern – selbst nach drei Jahren bereitete ihm die tsuranische Mißachtung des Anstands Unbehagen – und trat zu Mara an den Laden. Er legte einen Arm um ihre Schulter und war überrascht, wie starr und zittrig sie war.
»Mara«, sagte er weich. Er öffnete seine Robe und hüllte sie damit ein.
»Ich mache mir Sorgen um Keyoke«, gestand sie und schmiegte sich an ihn. »Du hast mir sehr geholfen.« Sie lehnte ihren Kopf gegen seinen Unterarm und fuhr mit der Hand spielerisch an seinen Lenden entlang.
Kevin dachte kurz daran, sie zurück zum Bett zu tragen, doch sie war mit ihren Gedanken schon wieder weit weg, und nach einem Augenblick löste sie sich aus seiner Umarmung und klatschte energisch in die Hände.
Dienerinnen traten in das Gemach, räumten die Schlafmatratze und die Kissen weg und beeilten sich, Maras Garderobe zusammenzustellen. Kevin zog sich in eine Ecke hinter einem Wandschirm zurück und zog sich um. Als er wieder hervortrat, sah er überrascht ein Frühstückstablett mit Obst, Chocha und Brot vor sich, doch es war unberührt; und obwohl drei der Bediensteten zurückgeblieben waren, hatte Mara das Zimmer längst verlassen.
»Wo ist die Lady?« wollte Kevin wissen.
Der Hausdiener sah ihn ohne jede Demut an; die Stickerei im midkemischen Stil auf Kevins Hemd mochte noch so schön sein, er war doch ein Sklave, stand unterhalb seiner eigenen Position und verdiente nicht die Höflichkeit eines freien Mannes. »Die Lady ist zur Vordertür gegangen.« Er schwieg wieder, und ein kleiner Willenskampf folgte.
Schließlich, als er sah, daß Kevin sich weder herabwürdigen und etwas sagen noch sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern würde, sondern einfach stehenblieb und ihn aus unglaublicher Höhe unverwandt mit seinen blauen Augen anstarrte, schniefte der Diener. »Ein Bote ist angekommen.«
»Danke«, brummte Kevin mit trockener Ironie und dem nicht seltenen Wunsch, das tsuranische Kastensystem möge etwas weniger starr sein und jemand hätte während der ganzen Prozedur aus Verbeugen und Auf-den-Kmen-Herumrutschen daran gedacht, ihn von der Ankunft in Kenntnis zu setzen. Selbst Mara hatte es nicht getan, aber die hatte Sorgen genug. Noch während er seine Sandalen anzog, hüpfte er durch die Tür und eilte den Korridor entlang zu ihr.
Der Bote kam von Arakasi; er war voller Staub und noch ganz mitgenommen von der Reise. Der Junge mochte vielleicht vierzehn, fünfzehn Jahre alt sein; offensichtlich war er die ganze Nacht gerannt und gewiß eine weitere Strecke als nur von Sulan-Qu.
»Sie verlangen drei heilige Stätten«, erklärte er gerade, als Kevin näher kam. »Eine muß aus Stein sein. Und auf Eurem Land muß ein Gebetstor errichtet werden, zu Ehren der Götter der Glücklichen Fügung.«
Damit waren Chochocan, Lashima, Hantukama und ein halbes Dutzend anderer Götter gemeint, die Kevin nicht auseinanderhalten konnte, denn ihre Namen und Eigenschaften waren seltsam für jemanden, der aus einer fremden Welt stammte. Auf Kelewan gab es sogar einen Gott, der über das Konzept der Ehre herrschte.
»Es muß mit Corcaras verkleidet werden«, schloß der Bote mit einem letzten Hinweis auf das Gebetstor.
Das würde ein teures Unternehmen werden, erkannte Kevin, als er in seinem tsuranischen Vokabular grub und sich erinnerte, daß Corcara eine Muschelart war.
Doch finanzielle Fragen und Schulden ließen Mara erstaunlich unberührt. »Wann wird der Heiler eintreffen?«
Der Bote verneigte sich. »Heute mittag, Lady. Arakasis Mann hat Träger angeheuert und für besondere Eile die Höchstsumme bezahlt.«
Mara schloß die Augen; ihr hübsches Gesicht wirkte blaß in dem sich auflösenden Morgennebel. »Beten wir zu den Göttern der Glücklichen Fügung, daß wir noch so viel Zeit haben.« Dann bemerkte sie zum ersten Mal die Müdigkeit des Boten. »Erholt Euch und nehmt eine Erfrischung zu Euch«, sagte sie rasch. »Ihr habt Eure Sache gut gemacht, und wir werden das Versprechen, das Euer Meister Hantukama
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