Der Sklave von Midkemia
schlank, wenn nicht gar zerbrechlich, und trug ein Gewand, das in seiner Schlichtheit dem eines Sklaven ähnelte. Seine Hände waren dunkel von der Sonne und sein Gesicht so runzlig wie eine alte, vertrocknete Frucht. Er verbeugte sich nicht, sondern betrachtete die Lady der Acoma mit dunklen Augen, aus denen eine unerschöpfliche Energie leuchtete.
Mara fuhr zusammen, dann führte sie das heilige Zeichen vor der Brust aus. »Ihr dient Hantukama als Heiler?«
Jetzt verbeugte sich der Mann, wenn auch nicht vor ihr. »Der Gott wandelt in meiner Gegenwart.« Er wölbte die Brauen und sprach sie auf die Meditation an, die sie ausgeführt hatte. »Ich habe doch nicht Euer Do-chan-lu gestört?«
Mara wischte seine Entschuldigung beiseite. »Ich bin froh über Eure Gegenwart, Heiliger, und hätte eine Unterbrechung gern erduldet, wenn es denn eine gewesen wäre.« Keinerlei Druck schien auf ihr zu lasten, als sie, ohne einen Blick auf den bewußtlosen Keyoke zu werfen, dem Priester eine Erfrischung und eine kleine Mahlzeit anbot.
Er betrachtete sie, dachte kurz nach und lächelte dann warmherzig und voller Mitgefühl. »Die Lady ist sehr großzügig, und ich danke ihr, doch meine Bedürfnisse sind nicht so dringend.«
»Hantukama möge Euch segnen, Heiliger«, sagte Mara, und jetzt war deutliche Erleichterung in ihrer Stimme, als sie auf den kranken Krieger zeigte. »Hier ist jemand, der ein ernsthaftes Bedürfnis nach Heilung hat.«
Der Priester nickte und folgte ihr. Sein Hinterkopf war in einem Halbkreis ausrasiert, der genau hinter den Ohren begann und am Nacken endete, wo die Haare lang und zu einem glänzenden, komplizierten Zopf geflochten waren. »Ich brauche eine Schüssel, Wasser und ein Kohlenbecken«, sagte er, ohne sich umzuschauen. »Mein Gehilfe wird meine Kräuter hereinbringen.«
Mara klatschte nach einem Diener in die Hände, während der Priester sich bückte und mit sorgfältigen, sparsamen Bewegungen die schmutzigen Sandalen auszog. Auf seine Bitte wusch ihm ein Diener Hände und Füße, doch er weigerte sich, ein Tuch zu benutzen. Statt dessen legte er die feuchten Finger auf Keyokes Stirn und blieb einen Augenblick vollkommen reglos stehen. Seine Atemzüge wurden langsamer, verbanden sich mit denen des verletzten Kriegers. Eine lange Minute geschah gar nichts. Dann fuhr er mit den Fingern leicht über Keyokes Kinn und den Nacken, dann weiter über die Decke und die Bandagen, die den sehnigen Körper bedeckten. Über jeder Verletzung verharrte der Priester einen Augenblick, bevor er weiterfuhr. Endlich am Fuß des Kriegers angelangt, hielt er inne, schlug leicht mit der Hand gegen die Fußsohle und sprach ein Wort, das im Raum nachzuhallen schien.
Als er sich schließlich zu Mara umdrehte, sah sein Gesicht grau, mitgenommen und müde aus. »Der Krieger steht bereits an den Toren zu den Hallen Turakamus und hält sich nur mit äußerster Willensanstrengung davon ab einzutreten«, sagte er weich. »Er befindet sich beinahe jenseits aller Versuche, ihn zurückzuholen. Warum wollt Ihr, daß er lebt?«
Mara trat unwillkürlich einen Schritt zurück gegen das unnachgiebige Holz des Türrahmens und wünschte, Kevins Arme wären da, um sie zu halten. Doch sie hatte den Barbaren fortgeschickt, aus Angst, daß sein fremdartiger Glaube den Priester unbewußt verärgern könnte. Sie blickte den zerlumpten kleinen Mann an, dessen Hände voller Schwielen waren und dessen Augen weit mehr sahen als andere. Sie war sich bewußt, daß viel von ihrer Antwort abhing, und versuchte seine Frage einzuschätzen. Ihre Gedanken kehrten zu ihren Erinnerungen an Keyoke zurück, von der starken Hand, die sie als Kind aufgehoben hatte, wenn sie hingefallen war und sich das Knie aufgeschürft hatte, bis hin zu seinem Schwert, das bei der Verteidigung ihres Vaters gegenüber seinen Feinden niemals versagt hatte. Wie sehr ruhte doch der Name der Acoma auf Keyokes Weisheit und Erfahrung! Es waren unzählige Gründe, weshalb sie ihn zurückhaben wollte, zu viele, um sie alle in einem Atemzug zu nennen. Sie blickte ihren ehemaligen Kommandeur an, der mit seinem Wesen, seiner Loyalität und seiner Ehre allen Soldaten, die er geführt hatte, ein glänzendes Beispiel gewesen war. Schon hatte sie den Mund geöffnet und wollte sagen, daß er an die Spitze ihrer Armee gehörte, als etwas, das Kevin einmal bemerkt hatte, diese Worte verdrängte. Dein Volk und mein Volk unterscheiden sich eigentlich gar nicht so sehr; nur die Tatsache,
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