Der Sklave von Midkemia
daß ihr eure kelewanesische Ehre über die Liebe und Fürsorge anderen gegenüber stellt, kommt einem Midkemier völlig falsch vor.
Das auffallend fremdartige Konzept brachte sie ins Schwanken, und dann platzte sie mit etwas völlig anderem heraus, als sie ursprünglich beabsichtigt hatte. »Wir wollen Keyoke bei uns haben, weil wir ihn lieben.«
Der Ausdruck von Zweifel im Gesicht des Priesters löste sich auf, und ein überraschtes, doch warmherziges Lächeln breitete sich aus. »Lady, Ihr habt gut und weise geantwortet. Liebe allein kann heilen, nicht Ehre, nicht Not, noch Pflicht. Nur um der Liebe willen wird Hantukama dem Ruf folgen und Eurem Krieger die Kraft zum Leben schenken.«
Mara spürte, wie ihre Knie schwach wurden. Eine Welle der Erleichterung schien sie zu durchströmen, während der Priester sie aus dem Zimmer bat, um seine heiligen Rituale ungestört ausführen zu können.
Der Priester Hantukamas baute das Kohlenbecken auf; nur sein Gehilfe war noch bei ihm, ein Junge mit kurzgeschorenen Haaren und einem Lendenschurz, der sich von dem eines Sklaven nicht sehr unterschied. Während der Arbeit intonierte er einen Gesang, dessen Tonhöhe stieg und fiel, beinahe wie Poesie, beinahe wie Musik, aber doch nicht ganz. Den Wachen auf dem Korridor sträubten sich die Nackenhaare, und sie schwitzten in dem Bewußtsein, daß auf der anderen Seite des Ladens eine Macht angerufen wurde, die jenseits ihres Verständnisses lag.
Der Priester öffnete eine gewaltige Tasche und holte kleine Kräuterbündel heraus, die einzeln gesegnet worden waren. Nur die wenigen Brüder, die in Hantukamas Dienst durch das Kaiserreich wanderten, kannten das Ritual, nach dem das Garn gesponnen wurde. An jedem kleinen Bündel war ein Päckchen befestigt, mit heiligen Symbolen versehen und von wohlriechendem Wachs verschlossen. Nicht einmal der Gehilfe kannte die Zusammensetzung des feinen Pulvers darin. Aus Ehrfurcht hatte der Junge niemals zu fragen gewagt.
Der Priester durchforstete seine heiligen Mittel, hob sie auf, wägte sie ab, erspurte die Tiefe ihrer jeweiligen Heilkraft. Er legte jene beiseite, die für Husten gedacht waren, andere verzauberten oder zur Erhöhung der Fruchtbarkeit dienten. Wieder andere wählte er aus und legte sie in einer ordentlichen Reihe beiseite – jene gegen Blutverlust und Entzündungen, Fieber und für richtige Verdauung. Es kamen weitere hinzu, die der Wiederherstellung des Geistes und des Kreislaufs dienten, dem Zusammenwachsen der verletzten Knochen und Sehnen. Er überlegte einen Augenblick, berührte Keyokes Hand und fügte noch eines für Stärke hinzu. Er schnalzte mit der Zunge, als er an das Bein dachte. Er konnte kein Gewebe erneuern, das bereits abgetrennt und weggeworfen worden war. Hätte man das abgeschnittene Körperteil in einer Essiglösung aufbewahrt, wäre es ihm vielleicht gelungen – vielleicht aber auch nicht. Die Bauchwunde würde genug Schwierigkeiten bereiten.
»Alter Krieger«, murmelte der Priester zwischen den Beschwörungen, »hoffen wir, daß Ihr Euch selbst genug liebt und in der Lage seid, die Scham beim Benutzen einer Krücke in Stolz auf das Tragen eines Ehrenzeichens zu verwandeln.«
Seine faltigen Hände ordneten die Mittel in einem bestimmten Muster zueinander, und er segnete sie, dann wählte er ein anderes Muster und wieder eines und immer so weiter. Einmal war Keyokes Körper umringt von kleinen Kräuterbündeln. Ein anderes Mal legte er sie in Reihen neben die zentralen Nervenbahnen von Brust und Bauch. Dann entfachte der Gehilfe das Kohlenbecken, und ein Bündel nach dem anderen wurde unter dem entsprechenden Lobgesang Hantukamas angezündet und verbrannt. Die Pulverpäckchen verstreute der Heiler direkt über Keyoke, während er ihn gleichzeitig aufforderte, tief einzuatmen, die Stärke der Erde und die wiederherstellenden Kräfte des Gottes in sich aufzusaugen.
Das letzte Kräuterbündel ging in Rauch auf, und die Luft in dem Gemach schien von dem schweren Duft zu schwirren. Dann bündelte der Priester seine Energien und wurde der Kanal für die Herrlichkeit seines Gottes. Er beugte sich über Keyoke und berührte die kühlen Hände, die reglos auf der Decke ruhten. »Alter Krieger«, intonierte er, »im Namen Hantukamas bitte ich Euch, den Schwertarm aufzugeben. Eure Hände sind nicht Eure, sondern die meines Gottes, um für Frieden und Harmonie zu arbeiten. Gebt Euren Kampf auf und wandelt in Liebe und seht, daß Eure Kraft in vollem Umfang
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