Der Sklave von Midkemia
Sohn wird sie zu ihrem Herrenhaus eilen –«
Desio unterbrach ihn. »Nein. Sie wird hierher kommen.«
Incomo wölbte überrascht die Brauen. »Wie kommt Ihr auf so etwas, Lord?«
»Weil es das ist, was ich tun würde!« Desio wuchtete seine massige Gestalt aus den Kissen, und der Diener, der danebenstand, wich rasch aus, als sein Herr vom Podest stapfte. »Zuschlagen, solange man stark ist. Verbündet mit den Xacatecas und geschützt vor einem Angriff der Anasati, steht es Mara frei, uns zu überfallen. Selbst wenn Chipino sich in seiner Unterstützung zurückhält, hat die Hexe die öffentliche Gunst auf ihrer Seite. Sie braucht nichts anderes zu tun, als den Clan anzurufen!«
Desio starrte Incomo an, als würde er Zustimmung von ihm erwarten, doch der Erste Berater hob beschwichtigend eine Hand. »Bei alledem, Lord, ist noch etwas Gutes.« Er reichte ihm schwach lächelnd ein anderes Pergament.
Der Lord der Minwanabi machte ein finsteres Gesicht, als er sah, daß die Schriftrolle das persönliche Siegel von Bruli von den Kehotara trug. Desio weigerte sich, das Dokument entgegenzunehmen. »Bruli bettelt jetzt schon seit Jahren um unseren Schutz, doch er hat das Wohlwollen meines Vaters – und auch meines – verloren, als er sich weigerte, nach dem Tode seines Vaters den Schwur als Vasall abzulegen – er möchte die Vorteile des Schutzes der Minwanabi, ohne sich unserer Herrschaft zu unterwerfen.« Der Verdacht, Mara könnte irgendwie hinter der Aufsässigkeit des Hauses Kehotara stecken, verärgerte ihn zusätzlich. Desio ließ sich wieder auf die Kissen fallen. »Wir sollten eigentlich eine weitere Bitte um eine Allianz zurückweisen.« Dann seufzte er. »Doch gerade jetzt brauchen wir alle Freunde, die wir bekommen können. Was sagt der Schwächling?«
»Ich schlage vor, Mylord liest die Nachricht selbst«, sagte Incomo trocken.
Das Pergament wurde weitergereicht. Stille trat ein, nur gestört durch das Quietschen der Rüstung, als der Sklave mit den Handschuhen und dem Helm auf dem Arm seine Bürde von einer Seite auf die andere verlagerte. Desio las die letzten Zeilen sorgfältig, und seine Augen weiteten sich befriedigt. »Kann man sich auf Brulis Beobachtung verlassen?«
lncomo tippte mit einem Finger gegen die Wange. »Wer kann jemals sicher sein? Ich entnehme dem möglicherweise genausoviel wie Ihr, Mylord – daß einzelne Teile in Maras Clan ihren plötzlichen Aufstieg fürchten. Sollte sie noch mehr Ehre und Reichtum erringen, wird sie sicherlich den Clan Hadama beherrschen. Kein anderes Haus ist jetzt mächtiger, wenn man ehrlich ist; nur die unterschiedlich gelagerten Loyalitäten verhindern, daß Mara die Politik ihres Clans bestimmt. Das allerdings könnte sich ändern. Diese ehrenwerten Lords, die sich erlaubt haben, mit Bruli von den Kehotara Kontakt aufzunehmen, lassen uns vorsichtig wissen, daß sie ihr eigenes Glück nicht notwendig an das des Hauses Acoma geknüpft sehen.«
Desio lehnte sich vor, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Er dachte nach, verspürte Durst und bedeutete seinem Sklaven, die Rüstung wegzubringen und eine Erfrischung zu holen. »Wir müssen den Göttern auch für einen kleinen Gefallen dankbar sein. Es ist immer noch besser, wenn die Familien des Hadama-Clans sich neutral verhalten, als daß sie sich allesamt gegen uns verbünden.«
»Ich glaube, Mylord ist die andere Bedeutung entgangen«, erlaubte lncomo sich zu sagen.
Die Macht hatte Desio erwachsen gemacht und weniger überempfindlich gegenüber Berichtigungen, und so antwortete er nur mit einem durchdringenden Blick. Es war offensichtlich, daß der Erste Berater seine Aussage etwas präziser fassen mußte, wenn er nicht den Zorn seines Herrn auf sich ziehen wollte. »Welche Bedeutung?«
»Unsere Agenten haben Fortschritte gemacht in ihrer Arbeit, in Maras Netzwerk einzudringen.« Begeisterung loderte in ihm auf, riß ihn förmlich mit, und Incomo spreizte seine knöchernen Hände. »Wir haben noch einen weiteren Spion entlarvt; beinahe alle ihre Kontakte sind zurückverfolgt worden, die Kuriere ermittelt. Gelegentliche, bewußt eingestreute Informationen haben die Kanäle offengehalten. Bei Bedarf können wir die Acoma-Hunde zu unserem Vorteil einsetzen.«
Ein seltsamer Blick huschte über Desios Gesicht, und sein Kopfschütteln hielt den Ersten Berater von unangenehmen, noch nicht zu Ende gedachten Überlegungen ab, als er sich bemühte, eine Ahnung zu verfolgen, die ihn quälte. Als der Diener
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