Der Sklave von Midkemia
anzupflanzen.
Angeekelt von etwas, das er als Verschwendung empfand, erinnerte Incomo sich daran, daß das Leben auf diesem Felsen dennoch eine leichte Strafe für einen so großen Fehler war. Hätte Lord Jingu noch gelebt und den Mantel des Herrschers getragen, hätte Tasaio eine solche Demütigung sicherlich mit seinem Kopf in einem Glas mit Essig und Rotbienenhonig bezahlen müssen. So machte sich der Erste Berater mit Pinsel und Tinte an das Pergament, tief seufzend, daß ein solch schwieriger Befehl in schriftlicher Form übermittelt werden sollte. Tasaio hatte sicherlich etwas Besseres verdient. Ein kleines Wort persönlichen Bedauerns würde nur angemessen sein; erfahren in den Unwägbarkeiten der Politik, dachte Incomo nicht daran, eine Brücke hinter sich abzubrechen. Das Blatt im Großen Spiel konnte sich nur zu rasch wenden, und niemals wußte man, wem man in Zukunft seine Loyalität schuldete.
Als die Sänfte um die letzte Kurve bog, lehnte Mara sich mit kindlichem Eifer hinaus. Die tsuranischen Träger schulterten ihre aus dem Gleichgewicht geratene Bürde mit stoischer Ruhe; sie spürten die Aufregung ihrer Mistress.
»Nichts hat sich geändert«, sagte Mara atemlos. »Die Bäume und das Gras sind so grün.« Die von der Regenzeit üppige Landschaft war nach den Jahren in der trostlosen Wüste eine Wohltat für die Augen. Hinter dem letzten Hügel, jenseits der entferntesten Needra-Weiden, erstreckte sich der gepflegte Landsitz. Abgestorbene Zweige und Triebe waren abgeschnitten worden, und das Gras unter den Hecken war ordentlich gekürzt. Mara konnte vom Kamm der nächsten Erhöhung den Kundschafter winken sehen. Angst kroch einen kurzen Augenblick in ihr hoch: Konnte ein schlauer Feind sich in einen Hinterhalt gelegt haben, um ihre Rückkehr nach Hause in ein Desaster zu verwandeln? Hatte sie in ihrer Aufregung die Krieger und Kundschafter zu schnell vorgeschickt, um die Sicherheit auf der Straße zu gewährleisten? Doch dann siegte die Vernunft über ihre Furcht: Sie befand sich an der Spitze einer im Triumph heimkehrenden Armee – mehr als ein Feind müßte eine Streitmacht aufstellen, um Mara an ihrer eigenen Grenze zu bedrohen.
Ein Kundschafter erstattete Bericht.
Mara schob ungeduldig die Vorhänge beiseite, die sie von ihren neben der Sänfte hergehenden Offizieren trennten. »Gibt es Neuigkeiten, Lujan?«
Der Kommandeur warf ihr ein Lächeln zu; seine weißen Zähne blitzten lebhaft in seinem von der Wüstensonne gebräunten Gesicht. »Mistress, es gibt einen Willkommensempfang!«
Mara lächelte. Erst jetzt konnte sie es den anderen gegenüber – aber vor allem sich selbst – eingestehen, wie sehr sie sich nach ihrem Heim gesehnt hatte. Die Fanfaren, die sie und Lord Chipino in Ilama und Jamar begrüßt hatten, waren sehr schmeichelhaft gewesen, doch selbst Feiern, die sie mit Lob und Ehren überschütteten, erwiesen sich irgendwann als anstrengend. Nahezu drei Jahre waren vergangen, seit sie den Befehl erhalten hatte, Truppen zur Verteidigung der Wüste abzustellen; eine zu lange Zeit der Abwesenheit für die Mutter eines jungen Sohnes. Die Nächte in Kevins Armen und die Unbilden der Kämpfe bei Tag waren nur eine Ablenkung von ihrer Sehnsucht nach Ayaki gewesen. Die zurückkehrende Armee erklomm den Hügel, und das Stampfen von dreitausend Füßen auf dem feuchten Boden klang dumpf durch die Stille des frühen Morgens. Mara atmete den Geruch des satten Laubs und der Akasi-Blumen ein, dann riß sie erstaunt die Augen auf.
An der Kreuzung des kaiserlichen Hochwegs und der Straße zu ihrem Herrenhaus erhob sich der kunstvolle Bogen eines atemberaubenden Gebetstores. Neue Farbe und glasierte Dachziegel blitzten im Sonnenlicht, und im Schatten des Tores standen einhundert Soldaten in ihrer Festtagsrüstung. Vor den Reihen glänzender Schilde waren andere liebgewonnene Menschen – Keyoke, so korrekt wie seine Soldaten, doch mit dem gestickten Abzeichen eines Beraters; Jican, der Hadonra, der neben seinem Amtsstab ziemlich klein wirkte; Nacoya, die ihren besorgten Ausdruck hinter einem Lächeln verbarg – und einen Schritt vor ihr ein Junge.
Mara hielt die Luft an. Sie kämpfte gegen plötzlich aufsteigende Tränen an, fest entschlossen, kein unschickliches Schauspiel zu liefern. Doch als der Augenblick, nach dem sie sich so lange gesehnt hatte, der manchmal so flüchtig wie ein Traum geschienen hatte, endlich da war, überwältigte er sie. Kevin verhielt sich wie ein perfekter
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