Der Sklave von Midkemia
zurückzuhalten. Nur … gib mir ein paar Tage.«
»Ein paar Tage, nicht mehr.«
Ein unangenehmes Schweigen umgab die beiden Männer, als sie wieder zu den Sklavenhütten zurückgingen. Kevin blieb noch eine Weile, um sich mit den Männern zu unterhalten, die er im Feld als Soldaten oder in den Sklavenpferchen und während des Wegs nach Sulan-Qu kennengelernt hatte. Die gefangenen Midkemier hatten sich eng zusammengeschlossen, seit sie auf Maras Landsitz gekommen waren; er war der einzige Mann, der abseits stand. Das war in dem Jahr, als er mit ihnen auf den Needra-Weidcn gearbeitet hatte, nicht so offensichtlich gewesen; doch jetzt sorgte die Kluft zwischen Maras Bett und dem jämmerlichen Leben in den Sklavenhütten für eine unüberbrückbare Entfremdung.
Kevin lauschte dem Klatsch und der gegenseitigen Anteilnahme an Insektenstichen, Hunger und Wunden. Er konnte wenig beisteuern. Die Begeisterung über die triumphale Rückkehr ebbte schnell ab, und er sprach nicht von den Wundern, denen er in Dustari begegnet war. Ein gutes Stück vor Mitternacht erhoben die Sklaven sich und suchten ihre Hütten auf. Sie würden vor der Morgendämmerung geweckt werden, trotz der Feier, und die Aufseher pflegten bei Trödlern die Peitsche anzuwenden. Kevin benutzte eine Ausrede und ging. Als er allein durch die Nacht wanderte, an Wachen vorbei, die ihm grüßend zunickten, Dienern, die ihm den Weg freimachten, wurmte ihn jedes einzelne dieser kleinen Vorrechte. Als er weiterging und ins Licht trat, Gelächter hörte und hübschen Dienerinnen begegnete, die mit ihm tanzen wollten, wandelte sich sein Unbehagen in Bitterkeit. Zum ersten Mal, seit er sich Hals über Kopf verliebt hatte, fragte er sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er sich selbst als Narren verfluchte.
Incomo eilte in das Gemach seines Lords. Desio stand breitbeinig vor einem geöffneten Laden, die Robe weit auf, damit die Brise vom See ihn etwas abkühlen konnte. Ganze Stapel von Berichten seiner verschiedenen Besitztümer lagen um ihn herum auf dem Boden verstreut, doch er hatte sich eine Pause vom Lesen gegönnt und drei Poeten gelauscht, die Balladen aus der Geschichte des Kaiserreiches wiedergaben. Incomo hörte genug, um zu erkennen, daß es eine Strophe aus »Die Taten der Zwanzig« war, einer Geschichte von uralten Helden, die für ihre außerordentlichen Dienste verehrt wurden. Irgendein lang verblichenes Licht des Himmels hatte ihnen den Titel Gute Diener des Kaiserreiches verliehen, und liebevoll erinnerte man sich immer wieder an sie, obwohl die Weisen der gegenwärtigen Generationen fest darauf bestanden, daß sie Legenden waren.
Seit Tasaios Einfluß Desio dazu gebracht hatte, sich den Kriegskünsten zuzuwenden, hatte sich der Geschmack des Lords von der Verfolgung lüsterner Abenteuer zu den ruhmreichen Heldentaten der Sieger gewandelt; doch wenn auch die Wahl seiner Unterhaltung mittlerweile eine andere war, hatte sich an seiner Abneigung, unterbrochen zu werden, nichts geändert. Der Lord der Minwanabi warf seinem Ersten Berater einen Blick zu, als dieser plötzlich eintrat, und als wäre seine gerunzelte Stirn ein Signal, versiegte der Chor. »Was ist?«
Incomo verbeugte sich. »Wir haben einen unerwarteten Besucher.« Da die Poeten fahrende Spieler waren und nicht unter dem Schutz des Hauses standen, beugte sich der Erste Berater ein wenig vor und flüsterte: »Jiro von den Anasati wartet am Dock auf der anderen Seite des Sees und bittet um die Erlaubnis, ihn überqueren zu dürfen.«
Desio blinzelte überrascht. »Jiro von den Anasati?« Als er den Anflug eines Tadels in Incomos Gesicht sah, senkte er vorsichtshalber seine Stimme. »Was für einen Grund könnte Tecumas Balg haben, hier unangekündigt aufzutauchen?« Dann wurde er sich bewußt, daß er sich entwürdigte, wenn er wegen der gemieteten Unterhalter flüsterte, und er winkte die Poeten fort. Ein Diener würde sie bezahlen; sie waren nicht begabt genug, als daß er sie behalten wollte.
Der Erste Berater sah zur Tür, bis sie allein waren. »Ich habe nur wenig hinzuzufügen. Jiro läßt Euch grüßen. Er bedauert den informellen Charakter seines Besuches und bittet Euch um ein paar Minuten Eurer Zeit. Der Bote vom Flußtor sagte, der Junge reist mit einer Ehrengarde von nur zwölf Männern.«
»Zwölf Männer!« Desios Arger verflog. »Ich könnte ihn an den Docks gefangennehmen. Wenn ich Jiro als Geisel habe, wird Lord Tecuma …« Er brach ab, als er merkte, daß sein
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