Der Sklave von Midkemia
Augen. Trotzdem zitterte sie nicht. Ihre Haare ergossen sich weich über seine Hände und dufteten nach Gewürzen, und durch die Seidenrobe hindurch spürte er ihre Brüste an seinem Arm. Es fiel ihm schwer, lange wütend zu sein. »Ihr nennt mich einen ehrlosen Sklaven und einen Barbaren«, fuhr Kevin mit heiserer Stimme fort. »Und doch bin ich keines von beidem. Wenn Ihr ein Mann wärt, hätte ich Euch längst getötet, und ich würde in dem Bewußtsein sterben, einen mächtigen Herrscher aus den Reihen meiner Feinde vernichtet zu haben. Doch da, wo ich herkomme, gilt es als ehrlos, einer Frau Gewalt anzutun. Also werde ich Euch gehenlassen. Ihr könnt Eure Wachen rufen – mich schlagen oder töten lassen. Doch es gibt eine Redewendung in Zûn: ›Ihr könnt mich töten, aber Ihr könnt mich nicht verschlingen.‹ Denkt daran, wenn Ihr mich, an einem Baum aufgeknüpft, sterben seht. Egal, was Ihr meinem Körper antut, meine Seele und mein Herz bleiben frei. Denkt daran, daß ich Euch erlaubt habe, mich zu töten. Ich gestattete Euch zu leben, weil meine Ehre es erforderte. Von diesem Augenblick an ist jeder einzelne Eurer Atemzüge das Geschenk eines Sklaven.« Er schüttelte sie ein letztes Mal und gab sie dann frei. »Mein Geschenk.«
Bis ins Innere gedemütigt, daß ein Sklave es gewagt hatte, sie anzufassen und mit dem entwürdigendsten Tod überhaupt zu bedrohen, holte Mara tief Luft, um nach ihren Kriegern zu rufen. Mit einer einzigen Handbewegung würde sie diesen rothaarigen Barbaren Dutzenden von Qualen aussetzen können. Er war ein Sklave, der weder Seele noch Ehre besaß; und doch lag viel Würde und Stolz darin, wie er sich wieder vor ihren Kissen niederließ. Seine Augen blickten spöttisch, während er auf die Verkündung seines Schicksals wartete. Das Gefühl von Ekel, das sie so nicht mehr empfunden hatte, seit sie hilflos neben ihrem brutalen Ehemann gelegen hatte, ließ sie erzittern. Jede Faser ihres Wesens verlangte schreiend danach, den Barbaren für die ihr zugefügte Beleidigung leiden zu lassen.
Doch was er gesagt hatte, gab ihr zu denken. Seine angespannte Haltung forderte sie heraus: Ruft doch Eure Wachen, schien sie auszudrücken. Laßt sie die Fingerabdrücke auf Eurem Fleisch sehen. Mara biß die Zähne zusammen, um einen grellen Schrei purer Wut zu unterdrücken. Ihre Soldaten würden wissen, daß der Barbar sie in seiner Gewalt gehabt und dann freigelassen hatte. Der Sieg gehörte ihm, ob sie ihn nun geißeln oder töten ließ: Er hätte ihr mit einer Leichtigkeit das Genick brechen können, als wäre sie ein gefangener Singvogel. Statt dessen hatte er nach den Regeln der Ehre gehandelt, wie er sie gelernt hatte. Und seine Ehre würde unangetastet sein, wenn sie ihn töten ließ – als wäre er im Kampf durch die Klinge eines Feindes gestorben.
Mara rang mit einem Konzept, dessen Fremdheit ihr eine Gänsehaut über den Körper jagte. Diesen Mann unter Berufung auf ihren höheren Rang zu bezwingen, würde nur sie selbst kleiner machen; andererseits war es undenkbar, daß sie von einem Sklaven beschämt wurde. Sie saß in der Falle, und er wußte das. Seine unverschämte Haltung, während er vor ihr sitzend auf ihre Entscheidung wartete, zeigte sehr deutlich, daß er ihre Gedanken bis zu genau diesem Punkt vorausgeahnt und sich dann bewußt dem Risiko ausgesetzt hatte. Für einen Barbaren ein bewundernswertes Spiel, mußte Mara anerkennen, als sie das Resultat betrachtete. Wieder drohte ein Zitteranfall, doch sie war Tsurani genug, um das Beben ihres Körpers verhindern zu können. Sie wurde ruhiger und sagte heiserer als beabsichtigt: »Du hast diese Runde gewonnen, Sklave. Du hast mit dem einzigen gehandelt, das dir zur Verfügung steht, mit deiner eigenen Existenz und der auch noch so schwachen Hoffnung auf eine Erhebung auf dem Rad im nächsten Leben. Damit hast du mich vor die Entscheidung gestellt, dich entweder zu zerstören oder diese Schmach zu erdulden.« Der Ausdruck mühevoll kontrollierter Wut verschwand jetzt aus ihrem Gesicht und wich kühler Berechnung. »Ich habe eine Lektion erfahren, und ich werde ihre Mahnungen nicht dem flüchtigen Vergnügen angesichts deines Todes opfern, wie angenehm diese Vorstellung im Augenblick auch wäre.« Sie rief einen Diener herbei. »Bring diesen Sklaven zu seiner Unterkunft zurück. Trage den Wachen auf, ihn nicht mit den Arbeitern hinauszulassen.« Mit einem Blick auf Kevin fügte sie hinzu: »Er soll morgen abend nach dem Essen
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