Der Sklave von Midkemia
ihren Läufer nach ihm auszuschicken, trat Jican ein. Schnaufend verbeugte er sich tief und entschuldigte sich wortreich für seine Verspätung. Erst jetzt fiel Mara ein, daß seine Verspätung mit einer Änderung des Dienstplans zusammenhing, die sie vorgenommen hatte, und sie würgte seine Entschuldigung ab.
»Ich brauche eine Liste mit allen Vermögenswerten, von denen Ihr glaubt, daß Feinde sie für geeignete Ziele halten könnten«, ordnete Mara an. »Es muß neben der Seide noch andere Handelsgüter geben, denen Desio schaden könnte, indem er etwa die Preise unterbietet oder die Gildenmitglieder besticht, die die Qualität unserer Waren festlegen. Er könnte Märkte unter seine Kontrolle bringen, Handelswege zerstören, Spione bestechen oder Käufer bedrohen. Boote könnten sinken, Wagen umgekippt werden, Lagerhäuser brennen; nichts von all dem darf jemals geschehen.«
»So etwas sieht nicht nach Desios Stil aus«, meinte eine Stimme trocken von der Tür her, die zum Garten führte. Arakasi trat durch den halbgeöffneten Laden ein, kaum mehr als ein Schatten vor dem nebligen Grau des Morgens.
Mara konnte kaum ihre Überraschung verbergen; Keyoke und die Wachen im Gang ließen die Waffen wieder los. Der Supai verbeugte sich; die Falte zwischen seinen Augenbrauen deutete darauf hin, daß er mehr zu sagen hatte. Mara gab mit einem Nicken ihr Einverständnis, und der Supai setzte sich zu den anderen an den Tisch und verschränkte die Hände mit den ungewöhnlich langen Fingern im Schoß.
Er fuhr fort, als hätten alle nur auf sein Erscheinen gewartet: »Sehen wir einmal davon ab, daß der junge Lord der Minwanabi erst seit viel zu kurzer Zeit herrscht, um überhaupt einen eigenen Stil entwickeln zu können.« Nachdenklich, als würde er immer noch an der Formulierung seiner Schlußfolgerungen feilen, strich der Supai über den geflochtenen Kaufmannszopf, der Teil seiner Verkleidung war, die er für seine letzte Mission angelegt hatte. »Eines ist jedoch offensichtlich: Desio gibt eine Menge Geld für irgend etwas aus. Die Märkte von hier bis Ambolina ersticken förmlich unter Handelswaren der Minwanabi, und aus den knappen Informationen unseres Angestellten bei Desio würde ich schließen, daß diese beträchtlichen Summen in Geschenke, Bestechungsgelder und Gefälligkeiten wandern.«
Mara biß sich bei diesen Neuigkeiten unruhig auf die Unterlippe. »Bestechungsgelder wofür?« meinte sie nachdenklich. »Es muß einen Weg geben, das herauszufinden.«
Keyokes tiefe Stimme unterbrach sie. »Heute morgen haben meine Soldaten einen merkwürdigen Hirten aufgegriffen, der auf den Needra-Weiden an der Grenze zum Gebiet der Tuscalora herumlungerte. Sie nahmen ihn mit, um ihn zu befragen, doch er zog es vor, sich mit seinem Dolch zu töten, anstatt seinen wahren Herrn zu verraten.«
Arakasi kniff grübelnd die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen, als Nacoya meinte: »Möglicherweise war das einer von Lord Jidus Spionen, der die Wachen auf der Brücke über die Schlucht beobachten sollte.« Die Erste Beraterin verzog die Lippen, als verursachte der Gedanke an den südlichen Nachbarn der Acoma einen schlechten Geschmack in ihrem Mund. »Die Chocha-la-Ernte ist beinahe fertig für den Markt, und selbst Jidus begriffstutziger Hadonra muß inzwischen gemerkt haben, daß seine Wagen die Straße nur erreichen werden, wenn sie Lady Mara einen Wegezoll für die Benutzung der Brücke zahlen.«
Der Supai beugte sich mit scharfem Blick vor. »Ich würde nicht darauf wetten, daß der Hirtenjunge von Jidu kam.«
Mara nickte. »Und ich nehme Eure Ahnung keineswegs auf die leichte Schulter, Arakasi.« Sie wandte sich an Keyoke: »Wir müssen eine Patrouille aussenden, die Lord Jidus Grenze bewacht – ganz unauffällig natürlich. Seine Krieger sind gut, doch sie begreifen möglicherweise nicht, wieviel meine Feinde gewinnen, wenn die Ernte ihres Herrn verbrennt.«
Keyoke nickte; seine Hände ruhten reglos auf dem Schwert, als er über die heikle Aufgabe sinnierte, die ihm bevorstand. Lord Jidu von den Tuscalora mochte lasch sein, doch seine Soldaten waren gute Krieger.
Jican bot bescheiden seinen Rat an: »Lord Jidu heuert Wanderarbeiter aus der Provinz Nesheska an, die bei der Ernte helfen sollen. Dieses Jahr war sehr fruchtbar. Vielleicht könnten sich einige unserer Krieger als Chocha-la-Pflücker verkleiden und sich unter die Arbeiter auf den Feldern mischen. Die Aufseher werden nicht jedes fremde Gesicht kennen, und
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