Der Sklave von Midkemia
da unsere Männer kein Geld fordern, könnte ihre Gegenwart mehrere Tage lang unbemerkt bleiben.«
Keyoke erweiterte den Vorschlag: »Besser noch wäre es, auch um der Ehre der Krieger willen, wenn wir auf den Weiden neben den Gütern Lord Jidus Übungskämpfe abhielten. Unsere eigenen Arbeiter könnten sich unter die Pflücker der Tuscalora schleichen, und sobald es Ärger gibt, können sie fliehen und unsere Truppen warnen.«
Mara nickte; sie hatte eine Entscheidung gefällt. »Machen wir es so.« Sie entließ ihre Vertrauten, nachdem sie Jican zugesichert hatte, die Finanzberichte durchzuarbeiten, die er ihr nach dem Mittagessen zukommen lassen würde.
Dann zog sich Mara ungewöhnlich ziellos in den Garten zurück, um dort Trost zu finden. Doch die Pfade zwischen den blühenden Kekali-Büschen wirkten einsam und leer im Morgenlicht. Die zunehmende Hitze bedrückte die Lady. Als sie zwischen den zerbrechlichen Akasi-Blumen umherwanderte, kehrten ihre Gedanken zu den Nächten in Kevins Armen zurück. Damals waren ihr ihre Gefühle so richtig vorgekommen, und jetzt schmerzte sie seine Abwesenheit, als würde ein Stück von ihr fehlen. Sie suchte und fand tausend Gründe, warum sie nach ihm schicken lassen konnte – nur für einen Augenblick, um eine Frage zu beantworten, um mit Ayaki zu spielen, um irgendeine merkwürdige Regel in dem Spiel zu erklären, das seine Leute das Knöchelspiel nannten …
In Maras Augen schimmerten Tränen, und sie stolperte über einen erhöhten Stein auf dem Weg. Ihr Grübeln verwandelte sich in Wut; sie brauchte keinen Grund, sie war Mara, die Herrscherin der Acoma! Sie konnte jeden Sklaven dorthin bestellen, wo sie ihn haben wollte, ohne jemandem Rechenschaft darüber ablegen zu müssen. Dann erkannte sie ihre eigene Torheit, noch bevor sie dem spontanen Impuls nachgegeben hatte, und konzentrierte sich darauf, ihre innere Entschlossenheit zu stärken. Seit dem Tod ihres Vaters und ihres Bruders stand ihr Haus an der Schwelle zum Untergang. Sie durfte nichts tun, was das Mißfallen der Götter erregen konnte. Wenn sie versagte, wenn sie die Wege ihrer Ahnen wegen einer Liebesgeschichte aus den Augen verlor, würden alle Mitglieder ihres Haushalts leiden, angefangen von den geringsten Bediensteten in der Küche bis zu ihren geliebten Vertrauten. Sie durfte nicht zulassen, daß die Ehre des Familiennamens und die Menschen, die den Acoma viele Jahre loyal gedient hatten, einer Tändelei mit einem Sklaven zum Opfer fielen. Nacoya hatte recht. Kevin war eine Gefahr, die sie am besten ohne Bedauern beiseite schob.
Verdammter Barbar, dachte sie gereizt. Warum konnte er nicht begreifen, wo sein Platz war, und sich wie ein tsuranischer Sklave verhalten? Warum konnte er nicht sein zersetzendes, gefährliches Denken aufgeben? Tiefe Traurigkeit trieb sie an den Rand der Verzweiflung und mischte sich mit Verärgerung über sich selbst. Ich bin eine Herrscherin, schalt sie sich. Ich sollte wissen, was zu tun ist. Unglücklich fügte Mara hinzu: »Doch ich weiß es nicht.«
Der Diener am Gartentor, der auf den Befehl seiner Herrin wartete, sprach sie an. »Mylady?«
Mara schluckte eine unnötig barsche Antwort hinunter. »Schicke nach meinem Sohn und seiner Amme. Ich möchte eine Zeitlang mit ihm spielen.«
Der Mann antwortete mit einer ordnungsgemäßen Verbeugung und eilte davon. Sofort hellte sich Maras Stimmung auf. Nichts brachte schneller ein Lächeln auf ihre Lippen als das ausgelassene Gelächter ihres Sohnes, wenn er nach Insekten jagte oder durch den Garten rannte, bis er völlig außer Atem war.
Desio ließ seine Faust so kraftvoll auf die Tischplatte niedersausen, daß eine Kerze herunterfiel und mehrere Jadeschmuckstücke über den Teppich rollten. Sofort eilte ein sichtlich nervöser Diener herbei, um die zu Boden gefallenen Teile aufzusammeln, und Incomo tat einen raschen Sprung zur Seite, um nicht von dem rollenden Sockel getroffen zu werden, auf dem sonst immer die Statue einer Göttin stand.
»Mylord«, mahnte er vorsichtig, »Ihr müßt Geduld haben.«
»Aber Mara ist drauf und dran, einen Vasallen für sich zu gewinnen!« brüllte Desio. »Und Jidu von den Tuscalora, dieser faule Idiot, begreift nicht einmal, was da vor sich geht!«
Der Diener erhob sich vorsichtig; er hielt ein halbes Dutzend kostbarer kleiner Skulpturen an die Brust gepreßt. In diesem Augenblick schlug Desio erneut auf den Tisch. Der Diener fuhr zusammen, dann begann er mit zittrigen Händen, die
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