Der Skorpion von Ipet-Isut
musterten ihn verwundert. Der Vize-Haushofmeister kam ihm entgegen gerannt, noch mit den letzten Handgriffen seine Gardarobe richtend und ohne Perücke auf dem Kopf.
„Erhabener, ich wurde unterrichtet, dass…“
„Tawere, ich will seine Majestät sprechen!“ unterbrach Kahotep den Höfling und griff ihn an der Schulter. „Es ist dringend! Sehr dringend und duldet keinen Verzug!“
Der Vize-Haushofmeister räusperte sich. „Der Ehrwürdige Horus ruht noch. Er hatte sich vergangene Nacht in den königlichen Harem begeben.“
„Das ist mir gleich! Wecke ihn!“
Sein Gegenüber rang die Hände und suchte verzweifelt nach Ausflüchten. Der Pharao war letzten Abend in einer ausgesprochen üblen Stimmung gewesen, nachdem man ihm die erfolterten Geständnisse der Dienerschaft seiner Mutter vorgelegt hatte. Drei der Unglücklichen, die über Jahre von Nefertaris Verhältnis zu Amenemhat gewusst hatten, waren kurzerhand noch im Kerker getötet wurden. Ihre Leichen hingen bereits an den Stadtmauern.
„Es geht um die Libyer“, legte Kahotep ungeduldig nach und war nahe daran, den Höfling ganz einfach zur Seite zu schieben und sich Zutritt zum Harem zu verschaffen.
Tawere seufzte. „Warte hier, Erhabener!“
Wieder an seinem Gewand nestelnd schlurfte der Mann seufzend davon.
Eine geraume Weile später erschien Ramses, die Spuren einer mehr oder minder durchzechten Nacht deutlich im Gesicht.
„Kahotep… was ist los?“ murrte er und ließ sich auf die Brüstung zum Garten fallen. „Mach‘ es kurz, mir platzt der Schädel!“
„Die Libyer und die Gaufürsten haben eine Armee in Marsch gesetzt, Majestät“, antwortete der Oberpriester und musste dabei seinen inneren Widerwillen gegenüber der traurigen Erscheinung des jungen Pharao überwinden. „Mehrere tausend Mann. Und Reiter. Sie werden von Norden kommen. Und auf dem Fluss!“
Iny-Ramses entgleisten die Gesichtszüge zu einem Ausdruck blanken Entsetzens. Er saß einen Moment lang in dieser Pose da, als müsse sein Verstand sich erst wieder in seinem Kopf einfinden.
„Was?“ brachte er dann endlich heraus. „Wie kann das sein? Warum haben meine Späher dann nichts berichtet? Woher hast du diese Nachricht?“
„Deine Späher sind wahrscheinlich bereits ermordet worden, Majestät. So wie die Bewohner in den Grenzdörfern. Und viele Gemeindevorsteher haben offenbar gemeinsame Sache mit dem Gegner gemacht, ließen sie passieren ohne Meldung zu machen!
Und die Priesterschaft von Men-Nefer… schoss es Kahotep durch den Kopf und er fühlte Kälte über seinen Rücken kriechen. Amenemhat hatte die Wahrheit gesagt, wann immer er die Diener Ptahs des Verrats beschuldigt hatte… Nein, das war unmöglich! Kahoteps Geist wehrte sich gegen diesen Gedanken wie ein Körper gegen eindringendes Gift. Er kannte den Hohepriester von Men-Nefer, Kiyas Vater! Niemals, so wahr die Götter lebten, hätte er Kemet an die Libyer verraten! Sich gegen jeden weiteren Gedanken dieser Art abschottend, wiederholte er mit raschen Worten, was er wusste.
Amenemhat ließ sich bäuchlings fallen in der Absicht, seinen gepeinigten Gliedern mit einer anderen Stellung etwas Erleichterung zu verschaffen. Aber eigentlich hatte er schon alles probiert, was einem an Armen und Beinen Gefesselten möglich war… Nicht in der Lage, sich abzufangen, schlug er auf dem schmutzigen Sandboden der Kerkerzelle auf und hatte sofort Dreck zwischen den Zähnen. Spuckend versuchte er sich wieder halb auf die Seite zu drehen und fluchte. Noch vor Tagen hätte er nicht geglaubt, welch zersetzende Gewalt ein anfangs so winziger Schmerz mit der Zeit entfalten konnte. Mittlerweile hatte er das Gefühl, jeder Muskel einzeln werde von glühenden Nägeln durchbohrt.
Tage…
Wie lang war er jetzt hier? Lang genug jedenfalls, dass Hunger und Durst begannen, selbst die schmerzenden Muskeln in den Hintergrund rücken zu lassen. Er hatte inständig gehofft, dass es ihm wenigstens vergönnt sein möge, aufrecht zu seiner Hinrichtung zu gehen, nicht wie ein Tier zum Schlachter geschleift zu werden! Aber wie es schien, hatte der Pharao nur daran Interesse, ihn so weit als möglich zu demütigen… Oder hatte man ihn hier unten vergessen?!
„Was ist, Iny, Großer Ruhmreicher Horus?! Bist du selbst dazu unfähig, mich hinzurichten?!“ Seine ausgedörrte Kehle ließ den zornigen Ruf in einem Hustenanfall enden. Es war besser, die schwindenden Kräfte zu sparen… Wofür auch immer.
Der Thronsaal vibrierte
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