Der Skorpion von Ipet-Isut
Wachpostens – man hatte ihn betäubt oder ein tödliches Gift eingeflößt, einerlei… Der Wesir sah sich nervös um, öffnete dann die Tür zu einem kleinen Raum. Eine Schale mit Essen stand bereit, dessen Duft Amenemhat unwillkürlich das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ, ein Wasserkrug, und auf einer Bank zusammengelegt ein neues Gewand.
„Ist General Sobekemsaf auf unserer Seite?“ fragte er, ohne dem Wesir weitere Zeit für umständliche Erklärungen zu lassen und schob eine Handvoll der kleinen Teigtaschen in den Mund.
„Ja, Erhabener. Die Truppen sind in Bereitschaft und warten nur auf deinen Befehl!“
Ah, wie gut du jetzt kriechen kannst… Aber früher konntest du deine Stimme nicht erheben, als es um die Rückgabe unseres Landes ging!
Noch immer kauend tauchte Amenemhat die Hände in das Wasser, genoss einen Moment die wohltuende Kühle auf seinen wund gescheuerten Handgelenken, entkleidete sich dann und begann sich zu waschen.
„Der Feind kommt von Norden zu Lande und zu Wasser, sagtest du, Wesir? Suche mir ein paar verlässliche Läufer, die ich als Späher losschicken kann!“ Er griff das neue weiße Leinen und schlug das Tuch mit raschem Handgriff um die Hüften. Seine Gedanken eilten die nächsten Schritte voraus. „Ich brauche einen Boten für Ipet-Isut. Und… rufe die Mitglieder des Kronrates zusammen! Wo ist Ramses jetzt?“
„Im Harem. Aber ich werde es einrichten, dass er über die Galerie in den Garten kommt, sowie … sowie du bereit bist, Erhabener.“
„Ich brauche eine Waffe“, erwiderte Amenemhat kalt, und der erschrockene Gesichtsausdruck des Obersten Siegelschneiders bei diesen unverblümten Worten amüsierte ihn auf eine düstere Weise. Die Verschwörer hatten einen Mord geplant, aber scheuten sich, die Dinge auch nur beim Namen zu nennen!
„Nun, du hast nicht erwartet, dass ich ihn mit bloßen Händen erledige, oder?“
Die Mitte der Nacht war überschritten. Ein lauer Wind wehte vom Fluss herauf mit dem Geruch von Erde und Schilf in sich. Es war ruhig im Palast, aber es war eine unnatürliche Ruhe. Dutzende Augen bewachten sie und warteten, dass ihr hastig inszeniertes tödliches Spiel seinen Lauf nahm.
Und ein anderes Augenpaar glitt suchend durch die Nacht, um eben dieses Spiel vorzeitig zu beenden…
Amenemhat war die Treppe zur Galerie hoch gestiegen und zog sich jetzt hinter eine der Säulen zurück. Der Stein war kalt, so wie die Klinge in seiner Hand – General Sobekemsafs Kurzschwert.
Mord. Königsmord. Sooft er über diese Eventualität nachgedacht hatte, er hatte nie damit gerechnet, selbst den tödlichen Stoß führen zu müssen! Es würde nichts anderes sein als der Stoß in eines der Opfertiere, sagte er sich jetzt. Ein Opfer zum Wohl Kemets, ein unabdingbares Opfer! Ein überfälliges Opfer!
Ein raschelndes Geräusch ließ Amenemhat sich umwenden. Aber im Dunkel der Nacht konnte er zwischen den Blättern und Stämmen des Palastgartens nichts erkennen. Eine der Katzen oder ein Nachtvogel? Irgendetwas in seinem Gespür sagte ihm, das dem nicht so war… Er löste sich von der Säule, beugte sich in Richtung des Raschelns und versuchte verzweifelt, doch etwas auszumachen. Im selben Moment war das Geräusch nah bei ihm, hinter ihm, lauter. Amenemhat drehte sich, hob das Schwert in Angriffsposition und fühlte sich von einem heftigen Faustschlag zwischen den Schulterblättern getroffen. Die Waffe entglitt seiner Hand. Er hatte Mühe, sich abzufangen, als ein Fußtritt ihn in die Seite traf. Die Tage im Verlies hatten ihm zu viel Kraft gekostet, und ein zweiter Tritt traf ihn, ehe er sich hoch stützen konnte. Kurz huschte das Mondlicht über die Gestalt des Angreifers, als jener sich aus dem Bereich der Galerie herausbewegte, um Amenemhats Waffe zu greifen. Der Hohepriester erkannte Sethnakht. Und er erkannte noch etwas anderes: eine kleine, feine Narbe an dessen Handgelenk! Doch für Rachegedanken blieb ihm keine Zeit. Ebenso wenig für die Frage, in welches Intrigengewirr man ihn eingewebt hatte. Der Erste Mundschenk setzte mit dem Schwert in der Hand auf ihn zu, und er war nicht schnell genug, dem Angriff zu entgehen. Sethnakht packte ihn an der Schulter, platzierte die Spitze des Schwertes auf seiner Kehle.
„Angst um dein Leben, Hohepriester des Amun? Ich bin mir sicher, mein Bruder hatte mehr Angst, als du ihn zur Pfählung verurteilt hast! Ich werde dafür sorgen, dass du auch alle die Qualen kostest, die einem Verräter
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