Der Skorpion von Ipet-Isut
konnte, hatte den Gaufürsten veranlasst, die Allianz mit den Libyern einzugehen anstatt mit dem Hohepriester des Amuntempels gegen den alten Pharao! Von draußen klangen die Geräusche der Kampfübungen herein: Waffenklirren und das Ächzen der Männer, die sich im Ringkampf trainierten. Das ganze Ambiente begann dem Gaufürsten zunehmend Unbehagen zu bereiten. Er stand von seinem Schemel auf, mit zusätzlichem Unwillen bemerkend, dass seine Tunika ihm am Körper klebte und der Wind eine feine Sandschicht auf seiner Haut abgelagert hatte. Er hasste das Lagerleben; er hasste es wirklich! Der Bote mit der unglücklichen Nachricht wich vor ihm zurück, aber Smendes beachtete ihn gar nicht weiter. Den Oberpriester aus Men-Nefer, der rasch zu ihm aufschließen wollte, hielt eine Handbewegung zurück. Der Gaufürst wollte allein sein. Es gab wichtige Dinge zu überdenken, und das sehr schnell…
Er ließ das Lager und den Lärm von den Kampfübungen hinter sich und wandte sich hinunter zum Fluss. Der Abendwind wehte kräftig von Norden und bog die Schilfstengel im seichten Uferterrain. Die Kriegsboote der Verbündeten lagen bereit, am nächsten Morgen ihre Fahrt wieder aufzunehmen. Man hatte es nicht eilig gehabt…
Stumm fluchend kratzte Smendes von Men-Nefer über die Staubschicht auf seinen Armen. Seine und die seiner Verbündeten Pläne begannen, sich in nächtliche Phantasien aufzulösen!
„…nun, Freund, so in Gedanken?“
Er fuhr herum und erkannte einen der libyschen Häuptlinge, einen einäugigen, hochgewachsenen Krieger. Offensichtlich war jener, anders als er, hervorragender Stimmung, denn er grinste breit, während er die Arme über seinem bestickten Umhang verschränkte. „Ich habe eine gute Nachricht für dich!“
„Ja?“ Und ich eine schlechte für uns alle…
„Die Söhne Kemets sitzen in ihrer selbst gewählten Falle! Ein Späher berichtete mir, dass die Soldaten auf getrennten Wegen marschieren, ein Teil über die Berge im Westen und ein anderer Teil den Fluss entlang.“
In Gedanken registrierte der Gaufürst alarmiert, dass der Libyer offensichtlich schon etwas länger über die Truppenbewegungen aus dem Süden Bescheid wusste, ohne es für nötig zu halten, ihm Bescheid zu geben.
„…Wir können sie leicht aufhalten und aufreiben, ehe es ihnen gelingt, weitere Verstärkung in Mittel-Kemet zu mobilisieren! Narren, ihre Leute auf diese Weise marschieren zu lassen!“
Die Selbstsicherheit seines Bundesgenossen enervierte den Gaufürsten gehörig in diesem Moment. „Narren? Amenemhat von Ipet-Isut ist alles andere als ein Narr!“ gab er zurück.
„Der Erste Gottesdiener des Amun?“
„Ich habe auch eine Neuigkeit für dich! Der ‚Ruhmreiche Horus’ ist tot und so wie es aussieht, ist Amenemhat Regent. Zumindest befehligt er die Truppen, nach allem, was mein Späher mir eben berichtete.“
Der Libyer lachte. „Wie sollte er uns gefährlich werden? Er ist ein Priester und versteht weder etwas von Kriegsstrategie – du siehst ja, er schickt seine Armee direkt in den Untergang – noch kann er eine Waffe führen!“
„Es sind nicht nur die Soldaten auf dem Landweg! Kriegsboote rudern nach Norden! Ich sage dir, Amenemhat ist ein mehr als ernstzunehmender Gegner! Er ist schlau; er hat mehr in der Hand, als du oder ich ahnen!“
„Und was? Den Fluch der Götter Kemets? Ich habe meine besten Kämpfer schon in Marsch gesetzt. Sie werden sich mit weiteren meiner Männer vereinigen, die die Stammesführer aus dem Westen entsenden. Dann werden sie den Feind zu Lande abfangen. Und WIR, mein geliebter Freund Smendes, nehmen ihre glorreichen Kriegsboote in die Zange!“ Damit ließ der Libyer ihn stehen.
Smendes richtete den Blick wieder auf die vom Wind niedergedrückten Papyrusstengel und traf eine Entscheidung. In aller Hast rannte er zurück zum Lager, suchte das Zelt auf, in dem sich sein ältester Sohn aufhielt. Der gerade einmal vierzehnjährige Knabe sprang auf, als er seinen Vater sah. Die Streitaxt, die er dabei gewesen war zu schärfen, rutschte auf den Boden und er öffnete den Mund zu einer erwartungsvollen Frage.
Nefertari war auf dem Schemel hocken geblieben, in den sie sich während Amenemhats Besuch hatte fallen lassen, bis es dunkel war.
Er war gegangen, ganz einfach gegangen! Diese Tatsache senkte sich wie ein bleiernes Gewicht auf sie. Gegangen, ohne ein Wort, ohne sie nur einmal noch anzusehen! Er hatte ihren Sohn ermordet und war gegangen! So eiskalt, wie er
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