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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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die den dort marschierenden Soldaten den Weg erhellten. 
    Amun-Ra musste ihm und dieser Armee den Sieg schenken! Aber … würde Ra am nächsten Morgen wieder aus der Tiefe aufsteigen und den Himmel erhellen für den bevorstehenden Kampf? Oder hatten die Götter im Zorn über seinen Frevel vielleicht beschlossen, das Land in ewige Finsternis sinken zu lassen? Er dachte an die Worte, die er vor noch nicht allzu langer Zeit zu Debora gesagt hatte. Wenn die Götter mich vernichten wollten, hätten sie es längst getan… Mit einem Mal erschien ihm dieser Ausspruch hochmütig und genau so frevelhaft wie seine Taten. Das ironische Lächeln gefror ihm auf den Lippen. Er senkte den Blick auf seine Hände, unwillkürlich und wider alle Rationalität befürchtend, sie voller Blut zu finden. Selbstverständlich verriet nichts an ihnen, dass es die Hände waren, die den Pharao ermordet hatten… Nein, nicht allein den Herrn der beiden Länder, den Sohn Amun-Ras hatte er ins Totenreich geschickt! Sein eigenes Fleisch und Blut… Welches Verbrechen konnte schwerer wiegen? Ich hatte keine andere Wahl… Es waren die Worte der Rechtfertigung, die er zahllos schon gebraucht hatte. Aber plötzlich schienen sie ihr Gewicht eingebüßt zu haben. 
    Amenemhat stand auf, ging nach vorn an den Wächtern vorbei und blickte über den hochgezogenen Bug seines Bootes hinaus auf den Fluss und die übrigen Schiffe. Ich habe Iny aufwachsen sehen; ich war die meiste Zeit in seiner Nähe…. Sechzehn Jahre lang, dachte er dabei erneut, trotz aller Versuche, diese Gedanken abzuwehren. Er schüttelte den Kopf und stützte sich gegen den Vordersteven. Ich hatte nicht den leisesten Verdacht… niemals! Nefertari, wie konntest du mir das antun? Warum hast du es mir nicht gesagt? Ich hätte einen anderen Weg gefunden! Ich hätte einen anderen Weg als seinen Tod gefunden...
    Dutzende Szenarien, wie Pharao Ramses IX. und Iny das Ende zu bereiten sei, hatte er gegeneinander abgewogen. Und jetzt, wo du dir diese Pest endlich vom Hals geschafft hast, Amenemhat, suhlst du dich in deinem schlechten Gewissen? Die Stimme klang ihm höhnisch durch den Kopf, und für einen Moment meinte er, die schemenhafte Gestalt des alten Senmut im Dunkel zu sehen. Ein Totengeist, der sich über den Frevel der Lebenden freute…
    Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt, Nefertari?
    Er blieb stehen, die Hände um den bemalten Vordersteven gelegt, einen Weg suchend, seine schwankenden Emotionen unter Kontrolle zu bekommen. Er konnte sich diese Schwäche nicht leisten! Er sehnte sich nach Debora, mehr denn je. Aber gleichzeitig fühlte er sich ihrer Liebe nicht länger würdig. Und vielleicht… war sie auch nicht mehr bereit, ihm ihre zu schenken, nach allem. Was würde sie tun, wenn sie erfuhr, was sich in den letzten Stunden ereignet hatte? 

    Das große Heerlager hatte drei Tagesmärsche südlich von Men-Nefer seine Zelte aufgeschlagen. Der Wachposten gab den Weg ins Innere des Zeltes frei und der Bote fiel atemlos seinem Herrn zu Füßen. „Kriegsboote auf der ganzen Breite des Flusses! Und eine Armee zu Lande, Herr!“
    Der Kopf des Gaufürsten Smendes von Men-Nefer schnellte herum und ein zorniger Blick traf den einen Schritt hinter ihm wartenden Oberpriester des Ptah seiner Stadt. „Du hast mir versichert, der Pharao würde keinen Heerzug unternehmen, sondern sich meinen Forderungen beugen!“
    Der Priester neigte schuldbewusst den Kopf, kam aber zu keiner Entschuldigung, denn der Bote rief jetzt: „Pharao Ramses ist tot, mein Fürst! Die Truppen stehen unter dem Befehl des Ersten Gottesdieners von Ipet-Isut!“
    Dem Ptahpriester entfuhr ein Laut des Staunens. Nach der letzten Nachricht, die ihm der Erhabene Kahotep gesendet hatte, befand sich Amenemhat von Ipet-Isut im Kerker! Was war hier Wahrheit und was Lüge?
    Unglücklicherweise hatten weder er noch der Gaufürst noch ihre Verbündeten Zeit, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Der Herr von Men-Nefer tupfte sich den Schweiß von der Stirn, während er hinab starrte auf den vor ihm knienden Boten. Amenemhat an der Spitze der Armee Kemets?! Welche Laune auch immer die Götter zu dieser Schicksalswende getrieben hatte, er kannte den Hohepriester gut genug, um sich keinen Illusionen hinzugeben. Als noch der alte Pharao regierte, hatte Amenemhat sich nicht nur einmal als zäher Verhandlungspartner erwiesen, als skrupelloser Machtpolitiker. Allein die Tatsache, dass er eben damals nicht über Truppen verfügen

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