Der Skorpion von Ipet-Isut
sie ausgetauscht hatte gegen eine junge Fremdländerhure!
Mit jeder Stunde, die verstrich, verwandelte sich Nefertaris einstige Leidenschaft für Amenemhat in etwas Neues. Dieses Neue war nicht minder Besitz ergreifend, nicht weniger brennend. Es war Zorn und Hass. Als sie sich gegen Morgen erhob und mit äußerster Sorgfalt zu schminken begann, war sie entschlossen, Amenemhat bezahlen zu lassen! Ihn zu zerstören, zu vernichten!
Am Vormittag machte sie sich auf den Weg zu Kiya. „Wie geht es dir, geliebte Tochter?“ fragte sie, das Mädchen mit einer beinahe mütterlichen Geste umarmend. „Ich teile dein Leid und deine Trauer um Iny…“ Sie lächelte Kiya an, wohlwollend genug, wie sie hoffte.
Die junge Frau nickte unsicher, einerseits wegen Nefertaris plötzlicher Vertraulichkeit, andererseits, weil sie mit dem Tod ihres Gemahls nur Erleichterung verband.
„Umso wichtiger ist es jetzt, dass du Vorsorge für dein Kind triffst, den künftigen Herrscher der beiden Länder. Du verstehst doch, was ich meine?“ Allzu viel traute Nefertari dem hakennasigen Mädchen nicht zu.
„Der Erhabene Amenemhat hat mir und meinem Kind seinen Schutz zugesichert.“
Die Antwort reizte Nefertari fast zu einem Lachen, besonders die Art, wie dieses dumme Ding es sagte! „Kiya, du solltest den Worten des Ersten Gottesdieners von Ipet-Isut nicht in dieser Weise vertrauen.“
„Was meinst du, Ehrwürdige Nefertari?“
„DU, Kiya, bist nichts als ein Pfand für ihn!“ Genauso, wie ich es gewesen bin…
„Sein Pfand, um auf den Thron zu kommen! Dieses arme Geschöpf, was du in dir trägst, wird nicht einen Tag das Sonnenlicht sehen, glaube mir! Amenemhat wird dein Kind töten! Vielleicht sogar dich, wenn er erst einmal hat, was er will, den Thron!“
Kiya war totenblass geworden. „Nein…“ flüsterte sie, versuchend, das Bild, das die Frau vor ihr von Amenemhat zeichnete, mit ihrem eigenen in Einklang zu bringen. Es gelang ihr nicht. Sie hatte Angst; im Augenblick am Meisten vor Nefertari, die jetzt ihre Hände nahm und weiter drängte: „Begib dich in den Schutz der Gaufürsten, Kiya! Dort wirst du sicher sein!“
„Aber es ist Krieg! Amenemhat ist mit der Armee unterwegs gegen die Gaufürsten und die Libyer!“
„Eben darum sollst du gehen! Dein Kind ist der rechtmäßige Pharao! In seinen Adern fließt das Heilige Blut!“
Diese Lüge ließ Nefertari ihren Zorn aufs Neue spüren, wild und gierig wie ein hungriger Schakal. „Wenn du hier in Waset bleibst, wird Amenemhat die Macht an sich reißen und dein Kind töten! Begib dich in den Schutz Smendes’ von Men-Nefer! Er kann die Regentschaft übernehmen, bis dein Kind alt genug ist! Du musst ihm sagen, dass ich und viele Mitglieder des Hofes seinen Kampf unterstützen!“
„Aber… das ist nicht wahr“, entgegnete Kiya jetzt. „Ich war dabei während der letzten Sitzung des Kronrates! Die Großen des Landes stehen hinter Amenemhat!“ Widerstand gegen die Pläne der älteren Frau begann, sich in ihr zu formen. Sie kam sich vor wie ein Spielstein auf einem Senet-Brett, der nach Belieben hin- und hergeschoben wurde!
„Du verstehst nichts von Politik, Kiya!“
Nefertaris Geduld war dünn und brüchig. Sie wollte Amenemhat leiden sehen, so bald es ging, und nicht die Zeit bei Diskussionen mit diesem dummen Kind vergeuden! „Der Gaufürst von Men-Nefer ist ein ehrenhafter Mann. Du wirst in sicherer Obhut bei ihm sein. Und bedenke, du wirst deine Familie wiedersehen können! Dein Vater wird sich freuen…“
Die junge Frau wusste nicht genau, was sie plötzlich zu solchem Widerwillen veranlasste, aber sie sagte nein. Vielleicht war es einfach die Furcht, Waset und den Palast zu verlassen, sich wieder in die Hände von quasi Fremden zu begeben, die sie nicht einschätzen konnte. Zu einem neuen Unbekannten, der den Platz ihres Gemahls einnehmen sollte?!
„Ich werde nicht gehen!“ wiederholte sie, Nefertari fest in die Augen blickend.
Diese war für einen Moment sprachlos über die unerwartete Gegenwehr, dann versetzte sie dem jungen Mädchen eine Ohrfeige. „Du bist eine dämliche Gans! Du verdienst es nicht besser!“
Kiya blieb schluchzend sitzen, während Nefertari davon rauschte.
„Ich habe Angst um Amenemhat, Menkheperre!“ wiederholte Debora und blickte den Vierten Gottesdiener an, der ihr gegenüber auf der Bank im Wohnraum Platz genommen hatte. Einige Stunden hatte sie hier in Amenemhats Haus verbracht, versucht, sich zu
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