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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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setzte sich auf und lauschte mit angehaltenem Atem. Nach einer kurzen Zeit beugte sie sich zur Seite. Ihre Dienerin schlief ruhig neben ihr auf der Matte auf dem Boden.
    Kiya wollte sie wecken, doch da legte sich eine kräftige Hand auf ihren Mund, und sie fühlte, wie sie hochgehoben wurde. Ihr Kopf berührte hartes, gepresstes Leder. Soldaten?! Die Libyer?! Sie versuchte sich zu befreien, aber es gelang ihr nicht. Irgendwo außerhalb der Laube wurde sie auf die Füße gestellt. Einer ihrer Entführer schob ihr einen Knebel in den Mund, andere schlangen ihr eine Fessel um die Arme. Kiya war übel vor Angst. Wer waren diese Leute und was wollten sie von ihr? Wenn sie nur schreien oder überhaupt irgendein Geräusch machen könnte, dachte sie verzweifelt. Sie wurde unsanft vorwärts geschoben. Vor ihnen schälte sich das Nordtor aus der Nacht. Durch den schwarzen Bogen schimmerten Sterne – die Torflügel waren geöffnet. Das bedeutete, dass die Wächter mit ihren Entführern gemeinsame Sache machten! Man stieß sie aus dem Areal des königlichen Palastes und weiter hinein in die angrenzende Straße, Richtung Fluss. Kiya schwindelte. War denn niemand in der Nähe der sah, was hier geschah? Kam ihr niemand zu Hilfe? Sie stolperte gegen den vor ihr gehenden Bewaffneten, und im Versuch, sein Gleichgewicht zu halten, ließ dieser seine Gefangene für einen Augenblick los. Kiya handelte rein mechanisch. So rasch sie konnte rannte sie in die nächstbeste Gasse. Früher wäre sie ihren Verfolgern ohne Zweifel problemlos entkommen, aber jetzt behinderte sie die Schwangerschaft. Mindestens zwei ihrer Entführer waren dicht hinter ihr, aber sie wagte nicht, stehen zu bleiben und dies zu überprüfen. Sie keuchte nach mehr Luft, aber der Knebel saß genauso fest wie die Fesseln an ihren Armen. Wo genau sie sich befand, wusste sie nicht. Sie hielt ganz einfach auf die Lichter zu, die von einem der Häuser noch zu sehen waren. Dort musste jemand sein, der ihr beistehen konnte, so wahr die Götter lebten! Die Rettung verheißenden Lämpchen brannten auf dem Dach des kleinen Hauses. Kiya hastete mit letzter Kraft in Richtung der schmalen Treppe, glitt in etwas aus und stürzte. Der Knebel erstickte ihren Schrei – aber diesmal zum Guten. Einer ihrer Verfolger war gerade um die Ecke gebogen. Da er sein Opfer im Augenblick aber weder sehen noch laufen hören konnte, schlug er die falsche Richtung ein. Zitternd blieb Kiya kauern, wo sie war. Schmerzen pulsten plötzlich so heftig durch ihren Körper, dass sie nicht mehr auf die Beine kam.

    Der Morgen graute, als einer der Gäste der kleinen Hochzeitsfeier auf dem Hausdach sich auf den Heimweg machte und am Fuß der Treppe Kiyas zusammen gekrümmte Gestalt entdeckte. Mit einigen hastigen Handgriffen befreite er sie von den Fesseln und rief nach seinen Verwandten um Hilfe.
    „Mein Kind!“ schluchzte die junge Frau verzweifelt und krallte sich an den Arm ihres Retters. „Mein Kind, mein Kind, ich habe solche Angst!“

    Kahotep hatte den morgendlichen Gottesdienst ohne sonderliche Anteilnahme vollzogen, wie auch schon am vergangenen Tag, und wie er überhaupt alles nur noch mechanisch tat, als habe der Lebensatem seinen Körper verlassen. Er hatte gefehlt, er hatte versagt, das war das Einzige, was im Augenblick in ihm Platz hatte. Er fragte sich, welche Strafe ihm die Götter Kemets und insbesondere Ptah zugedacht hatten und wartete, dass sie ihn traf…
    Langsam und gebeugt wie ein alter Mann war er aus der Sakristei geschritten und hatte den Weg zum Haus des Todes eingeschlagen, als heftige Schläge gegen das Haupttor erklangen. Er wandte sich um, sah, wie einer der Wächter durch das kleine Fensterchen in der Pforte blickte und dann seinen Kameraden das Zeichen gab, die Flügel zurück zu ziehen. In der Morgendämmerung erkannte Kahotep zwei Personen, von denen einer eine Frau in den Armen trug.
    Der Oberpriester des Ptah erbleichte, als er sie erkannte. Die Lethargie der letzten Tage war schlagartig von ihm abgefallen. 
    „Ehrwürdige Kiya!“ 
    Als ihre Retter die Anrede hörten, wichen sie zurück, Entsetzen in den Augen, man könnte sie für das, was offenbar geschehen war, verantwortlich machen. Aber Kahotep hatte im Moment ganz andere Sorgen, als er den Zustand seiner Patientin erkannte. Er schenkte den erklärenden Worten der beiden Helfer gar keine Beachtung.
    „Hilf mir, sie hinüber in die Krankenstube zu bringen!“ rief er einem der Priester entgegen, die soeben

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