Der Skorpion von Ipet-Isut
sie sich diese erste Bekanntschaft nicht vorgestellt: inmitten eines ohrenbetäubenden Geschreis, das Flüchtlinge, königliche Gardisten und Militärschreiber veranstalteten. Die Ankömmlinge drängten durch das Tor, fürchteten, die Nacht vor den Mauern verbringen zu müssen, auch wenn sich so rasch sicher kein schützendes Dach in der Stadt finden würde. Hastig drängten die beiden Sklaven des Phöniziers ihre Schutzbefohlene in eine kleine Nebengasse, vorbei an aufgestapelten Körben, von denen sie in ihrer Eile einen umrissen. Irgendjemand schimpfte ihnen nach und warf mit Dreck, erwischte sie aber nicht mehr.
Glücklicherweise hatten sie keinen weiten Weg mehr zurück zu legen. Das Haus des Phöniziers erhob sich nahe der Stadtmauer.
Einer der beiden Sklaven war soeben zum Nebeneingang geschlüpft. Es war hier so dunkel, dass nur das Knarren der Tür Debora sagte, dass man ihnen geöffnet hatte. Sie starrte in die Dunkelheit, in einer Mischung aus Angst vor dem Kommenden und Erleichterung, endlich am Ziel der Wanderung zu sein. Der Lärm vom Haupttor war noch immer zu hören, ebenso eine schimpfende Stimme aus einem der Nachbarhäuser und das Jaulen eines Hundes. Dann schob sich ein Mann mit einer Lampe in die Tür vor ihnen. Er trug ein purpurfarbenes Gewand, und im flackernden Licht hatte Debora den Eindruck, dass seine fleischige Nase von derselben Farbe sei.
„Soso, du bist also die Tochter meines alten Freundes!“ meinte er mit dröhnender Stimme und strich ihr vertraulich über das Haar. „Debora! Mein kleiner Feuerkopf! Komm nur herein!“
Sie folgte der Aufforderung und fühlte sich im selben Moment abgestoßen von der süßlichen Duftwolke, die der Phönizier um sich verbreitete. Der Hof, in den sie jetzt traten, war nur spärlich erhellt. Debora erkannte ein langgestrecktes, säulengetragenes Gebäude, unter dessen Dach größere Stapel verpackter Waren lagen, wohl bereit für den Transport zum Hafen. Ein Knecht, der dort zur Bewachung abgestellt worden war, verfolgte neugierig die späten Ankömmlinge. Das Anwesen war weiträumig und die Vorderfront mit farbenfrohen Wandmalereien geziert, die Blüten und Vögel zeigten. Deboras Blick wanderte neugierig darüber. Bei ihr auf dem Hof gab es keinen solchen prachtvollen Schmuck. Morgen bei Tageslicht würde sie ihn sich ganz genau betrachten…
Zoros schob sie durch die Pforte ins Innere des Hauses. Erneut musste sie an sich halten nicht zu niesen.
Amenemhat hatte das allabendliche Ritual des Schreinverschließens so hastig hinter sich gebracht, wie nur irgend möglich. Dann war er zu seinem kleinen Haus an der rückwärtigen Seite des Tempels geeilt, wo ihn wie vermutet bereits einer der ausgesandten Tempeldiener erwartete.
„Nun, wo ist sie?“ rief er ihm ungeduldig entgegen. „Noch im Bad?“
„Erhabener... Sie... sie.... Es ist besser, du vergisst sie! Amun hat sie dir entrissen!“
„Was redest du?“
Der Tempeldiener wich ein Stück zurück und antwortete zögernd: „Sie ist krank, Erhabener! Sie hat den Aussatz!“
„Nein! Das kann nicht sein! Ich habe sie vor ein paar Tagen erst gesehen, sie hatte keine Anzeichen!“
„Ihr Vater hat es mir selbst gesagt!“
„Du hast sie nicht mit eigenen Augen gesehen?“
„Nein, Erhabener! Ihr Vater sagte, er habe seine Tochter am Morgen in die Kolonie der Vergessenen gebracht.“
„Ihr Vater? Du hast die Zeichen für den Aussatz nicht selbst geprüft?“
In Amenemhats Entsetzen schlich sich Argwohn, dem er nur zu bereitwillig Raum ließ. Es musste eine Lüge gewesen sein! Sie konnte nicht den Aussatz haben! Nicht ein solch wundervolles Geschöpf! Nein, das würde er erst glauben, wenn er es selbst gesehen hatte! Er scheuchte den Tempeldiener fort und marschierte ins Innere des Hauses. Einer der Bediensteten, der dort gewartet hatte, war klug genug, beim Anblick seines Herrn sofort das Weite zu suchen.
Amenemhat schlug seine Diener zwar nur äußerst selten, doch lag das auch daran, dass sie im Laufe der Jahre gelernt hatten, seine Stimmungen rechtzeitig zu erkennen. Und im Augenblick kochte er. Seine ganzen Emotionen der Vorfreude und des Verlangens, die er seit dem Nachmittag so mühsam im Zaum gehalten hatte, lösten sich jetzt in Zorn. Er schlug die Fäuste gegen die Mauer und blieb so stehen, den Schmerz geradezu genießend, weil er wenigstens eine kleine Möglichkeit bot, seiner Erregung Herr zu werden.
Die Hitze war unerträglich. Nicht einmal die Nachstunden
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