Der Skorpion von Ipet-Isut
retten!
„Ich sagte… es sei schlecht, wenn die Priester sich in die Regierungsgeschäfte mengen, erhabener Pharao. Das ist die Wahrheit der Ma’at.“
„Darum wollte ich eine neue Verordnung erlassen, die den Dienern Amuns untersagt, etwas anderes als den Tempeldienst auszuüben…“
Die Kälte in Kahotep schmolz unter einer auflodernden Flamme der Genugtuung. Das würde ein furchtbarer Schlag für Amenemhat sein!
„Das Volk wird dir Loblieder singen, Erhabener Horus!“
„Das würde man vielleicht tun, wenn ich den Erlass umsetzen könnte! Aber der Wesir warnte mich, und… er war im Recht. Ich kann Amenemhat das Vizekönigtum von Nubien nehmen, aber all seinen Priestern die Ämter? Die Priesterschaft von Ipet-Isut ist wie der Sand, der überall eingedrungen ist und nicht mehr entfernt werden kann, ohne etwas zu zerstören. Lasse ich ihnen die Privilegien meines Vaters, kann ich nicht regieren, weil SIE es tun, und nehme ich ihnen die Privilegien, ist niemand mehr da, der regiert!“
„Erhabener Pharao...“ Der Oberpriester suchte nach den rechten Worten. „Der Tempel des Ptah ist klein… und arm. Du weißt es. Nur wenige von unseren Dienern sind in den hohen Wissenschaften unterwiesen. Wir… wir können die Pflichten von Ipet-Isut nicht übernehmen.“
„Das will ich auch nicht! Soll ich der einen Priesterschaft die Macht entreißen, um sie der anderen in den Rachen zu werfen?“ Ramses legte Kahotep die Hand auf die Schulter. „Ich brauche deinen Rat, nicht deinen Dienst.“
Kahotep schloss die Augen, versuchte, eine Lösung vor sich zu sehen, in dem er sich an die studierten Schriften erinnerte und an Gespräche mit seinem Lehrer Senmut.
„Du musst den Weg Ptahs gehen“, meinte er schließlich. „Den Weg Ptahs, der tausend Augen hat und dem nichts verborgen bleibt. – Entferne die Amunpriester nicht aus ihren Ämtern, aber kontrolliere sie in ihrem Tun! Und stelle vor allem Amenemhat einen treuen Mann zur Seite, der ihn ihm Auge behält! Und… das Land, erhabener Pharao! Die Macht von Ipet-Isut gründet sich auf das Land des Tempels und die Geschenke deiner Vorgänger, nicht nur auf seine Privilegien…“ Kahoteps Herz schlug so schnell bei diesen Worten, dass er unwillkürlich die Hand gegen die Brust presste. Es war ein Wagnis, aber er konnte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen!
„Der Hohepriester des Amun besitzt fast das gesamte Scharaki-Land entlang des Flusslaufs! Findest du es gerecht, o erhabener Horus, wenn jene, auf deren Schultern eigentlich die Macht ruht, hungern und sterben und jene, die gegen dich Verrat betreiben, ein fettes Leben führen? Das ist nicht gemäß der Ma’at.“
„Und wenn die Heilige Ordnung nicht eingehalten wird, werden die Städte zu Hügeln und Berge zu Tälern und die Finsternis des Ursprungs wird sich über das Land ergießen“, erinnerte sich Ramses an den entsprechenden Text.
Kahotep nickte und dann herrschte Schweigen. Würde der junge König begreifen, worauf er hinaus wollte?
„Ich nehme den Priestern von Ipet-Isut die Pachteinkünfte! Sie sollen von jetzt an mir zufallen, und ich werde sie verteilen nach meinem eigenen Gutdünken! Nein, warte, ich nehme ihnen überhaupt das ganze Land! Sie sollen von den Opfern leben, die man ihnen bringt, das genügt! Dann verteile ich die freigewordenen Parzellen an die Flüchtlinge aus dem Delta, und einen Ochsen zum Pflügen dazu! Und einen goldenen Becher mit dem Siegel meines Namens… - He, Diener! Hol mir einen Schreiber! Schnell!“ Ramses Züge entspannten sich in einem Lächeln. „Ja, genau das werde ich tun. Du bist weise, mein Freund Kahotep. Ich will dich gebührend entlohnen!“ Er streifte einen Ring vom Finger und reichte ihn dem Oberpriester. Doch der kreuzte die Arme vor der Brust und verneigte sich tief.
„Ich danke für deine Gnade, aber gib diese Gabe besser den Hungernden!“
Die Reaktionen bei Hofe auf diese unerhörte Maßnahme reichten von einer Haltung neugierigen Abwartens bis zu offener Entrüstung. Es war eine Sache, sich des Hohenpriesters aus Ipet-Isut zu entledigen. Manch einer der Höflinge und Beamten hatte das schon einmal in Erwägung gezogen, wenn Amenemhat wieder einmal rücksichtslos in ihre Methoden der Selbstbereicherung geschlagen hatte. Aber etwas ganz anderes war, das Althergebrachte und die Rechte des Amuntempels derart anzugreifen! Die Gelehrten sahen die düsteren Ereignisse während der Regierungszeit des Verfluchten Pharao wieder
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