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Der Skorpion von Ipet-Isut

Der Skorpion von Ipet-Isut

Titel: Der Skorpion von Ipet-Isut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Napp
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aus dir heraus prügeln lassen. Aber ich bevorzuge den Weg des geringeren Aufwandes – und ich denke, du auch!“
    „Ja...ja...“ Der Gefangene röchelte und hustete erneut, und es dauerte einen Moment, ehe er sprechen konnte: „Er kam eines Abends, als ich gerade in mein Haus gehen wollte... Ich kannte ihn nicht; er hatte ein Tuch um sein Gesicht geschlagen, wie die Wüstenvölker es tun. Er sagte... sagte, er wüsste Bescheid, dass ich im vorigen Jahr die Abrechnung der Opfergaben nicht korrekt geführt hatte. Er sagte, er würde mich anzeigen... wenn ich nicht auf seinen Vorschlag einginge... Ich sagte ja. Ich wusste nicht, worum es sich handelte, Erhabener!“
    „Höre auf zu jammern und rede! Hat derselbe Mann dir das Gift gegeben?“
    „Ja! Nur einen Tag darauf. Er hatte dieses Tuch vor dem Gesicht, ich konnte nur die Augen sehen, wie beim letzten Mal! Und seine Hände... auf den Fingern waren helle Streifen... als ob... als ob er sonst Ringe trug!“
    Sehr schlau. Im Gegensatz zu dir war dein Auftraggeber ein sehr umsichtiger Mann, stellte Amenemhat dabei fest.
    „...Und... er hatte eine Narbe am rechten Handgelenk. Mehr weiß ich nicht.“
    Das war eine kostbare Information. Im Augenblick allerdings fiel dem Hohepriester niemand am Hof ein, der mit solch einer Zierde aufwarten konnte. Aber – das mochte sich ändern. Er und seine Getreuen würden die Augen offen halten.
    Der Gefangene sackte wieder auf dem Boden des Kerkers zusammen, kaum, dass er ihn losgelassen hatte. Amenemhat wandte sich um, der Treppe zu. Der Tempelwächter, der mit ihm gekommen war, reichte ihm die Hand, um ihm beim Aufstieg behilflich zu sein.
    „Was soll mit dem da geschehen, Erhabener?“ fragte er mit einer Kopfbewegung in Richtung des reglosen Gefangenen. Amenemhat lag ein „Das übliche Urteil soll vollstreckt werden“ auf der Zunge. Aber aus einem unbestimmten Grund kam ihm in diesem Moment Debora in den Sinn; das wundervolle Lächeln, das sie ihm geschenkt hatte, als er sich auf den Weg machte, nicht wissend, dass sein Ziel dieses Verlies sein würde.
    Er stockte in seiner Antwort. Der Tempelwächter musterte ihn, wohl in der Annahme, ihm sei nicht wohl. Zögern war niemand von Amenemhat gewohnt.
    Sein Unbehagen stieg, als der Erste Gottesdiener erwiderte: „Sorge dafür, dass seine Verletzungen versorgt werden. Ich entsende ihn an die nubische Grenze, nach Pilak.“
    Der Tempeldiener neigte den Kopf, sowohl, um den Befehl zu bestätigen, als auch seine Überraschung zu verbergen.

    Die Sonne hatte ihren mittäglichen Höchststand erreicht, als Amenemhat den Kerker verließ. Das Zirpen der Zikaden klang über den Hof. Näherkommende Schritte ließen ihn auf seinem Weg Richtung Garten innehalten. Er wartete, bis Menkheperre ihn erreicht hatte. Der Vierte Gottesdiener war zurück von dem geheimen Auftrag, der ihn und eine kleine Gruppe weiterer Priester in der letzten Nacht nach West-Waset geführt hatte.
    „Nun?“ fragte der Hohepriester leise, mit einem raschen Blick sicher stellend, dass ihnen keine unerwünschten Zuhörer lauschten. 
    „Fünfzehn Mumien haben wir geborgen und an ihren neuen Ruheplatz gebracht. Ich denke nicht, dass uns jemand gefolgt ist“, berichtete Menkheperre. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten.
    Amenemhat nickte. Diese für die Ewigkeit bereiteten Leiber wenigstens würden nicht den nächsten Aktionen der Grabräuber zum Opfer fallen, wie so viele in den vergangenen Monaten. Die Kas dieser Verstorbenen würden einen Platz haben, in den sie zurück kehren konnten, wenn sie auch nicht mehr der prunkvolle Raum ihrer eigentlichen Gräber umgab, sondern eine Felsspalte, die Menkheperres ältester Sohn vor einiger Zeit entdeckt hatte. Aber möglicherweise würde selbst dieser verborgene Ort eines Tages von gierigen, nach Gold wühlenden Fingern ans Licht befördert werden; Finger, die die Särge zerschlugen, die Leinenbinden zerfetzten und die Gliedmaßen der Toten zerhackten, um an die kostbaren Amulette zu gelangen...
    „Du wirst dich in der kommenden Nacht noch einmal auf den Weg machen“, beschloss er und legte seinem Vertrauten die Hand auf die Schulter. „Aber diesmal werde nur ich dich begleiten. Wir müssen sämtliche Schmuckstücke aus den Bandagen entfernen, alles, was nur den geringsten Wert hat! Wer auch immer diesen Platz jemals betritt, muss auf den ersten Blick sehen, dass es nichts gibt, was eine Zerstörung der Mumien lohnend machen würde. Das ist das Einzige, was sie

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