Der Skorpion von Ipet-Isut
Aufseher der Arbeiter meinte, die Mejai seien träge gewesen, weil seine Majestät sie nicht rechtzeitig entlohnt hat.“
Amenemhat biss die Zähne zusammen, sowohl, um die Schmerzen beim Gehen zu unterdrücken, als auch seinen Zorn. Iny, dieses lächerliche Kind mit den beiden Kronen auf dem hohlen Schädel brachte es tatsächlich fertig, selbst die berühmte Mejaipolizei zu ruinieren!
„Und es sind wieder einige der Mumien bei diesen Raubzügen zerstört worden, nehme ich an?“
„Ja.“ Menkheperre senkte den Kopf. „In einem der alten Grabmäler war sogar ein Feuer ausgebrochen, als einer der Frevler unachtsam mit seinem Licht umging. Es ist alles vernichtet worden.“
Diese Nachrichten hatten den letzten Nachhall des unbeschwerten Glücks mit Debora in der vergangenen Nacht zerstört. Auf seine Krücke gestützt ging Amenemhat schweigend in Richtung des Schatzhauses von Ipet-Isut. Menkheperre bemühte sich – anders als früher immer – langsamer zu gehen, um seinen Schritt anzupassen.
Wie stets standen zwei Posten aus der Tempelwache vor dem Portal des Schatzhauses, das in der nördlichen Krypta untergebracht war, umgeben von den stärksten Mauern des Tempels. Amenemhat forderte sie auf, zur Seite zu treten, dann zerschlug Menkheperre das Lehmsiegel an der Pforte. Auf einen kräftigen Stoß hin schwangen die Bronze beschlagenen Türflügel zurück und die beiden Priester traten ein. Für Amenemhat war dieser Ort eigentlich niemals der wirkliche Schatz Ipet-Isuts gewesen, sondern die Getreidespeicher dieses und all der anderen Tempel, die Herden und Gärten. Aber da der Pharao ihnen dies genommen hatte…
Er ließ den Blick über die hölzernen Regale, über die Truhen und Tonkrüge schweifen. Im Licht der Lampen glänzten Gold und Glasflussarbeiten, Bronze und Silber dort, wo die Staubschicht noch nicht zu dick geworden war im Laufe der Jahre. Manche der Weihegeschenke lagen seit Jahrhunderten hier. An andere erinnerte sich Amenemhat persönlich. Vor einer großen, flachen Truhe blieb er stehen und klappte den Deckel zurück. Die Gaben von Pharao Ramses, Inys Vater, anlässlich der Geburt seines Sohnes. Der Hohepriester verzog den Mund zu einem abschätzigen Lächeln. Für Kemet und seine Bewohner wäre es besser gewesen, hätte der alte Ramses keine Nachkommen gehabt! Amenemhats Finger waren auf den glänzenden Platten eines Schmuckkragens liegen geblieben. Die kostbare Arbeit des Künstlers zeigte ein Band geöffneter Lotusblüten und darunter Szenen der Zuneigung. Szenen, die, wie er genau wusste, zwischen Ramses und Nefertari niemals stattgefunden hatten. Sie hatte ihren Gemahl Zeit seines Lebens verabscheut… Als Amenemhat jetzt die liebevoll einander zugeneigten Personen auf dem Schmuckstück betrachtete, dachte er nicht mehr an Nefertari. Nur die Erinnerung an Debora hatte noch Platz in ihm, und er strich über den Schmuckstein wie über ihr Gesicht.
„Ich mache dich zu meiner Gemahlin…“ flüsterte er. Einmal ausgesprochen hatte dieser Gedanke eine so magische Kraft, dass er ihn wiederholte und genoss wie einen berauschenden Wein. Das würde der Weg sein, Debora zu zeigen, wie viel sie ihm bedeutete!
Menkheperre musterte seinen Vorgesetzten und Freund skeptisch. „Die… Fremdländerin?“
„Ja.“ Amenemhat lächelte. „Ich nehme sie zur Frau.“
„Aber…“ Sein Begleiter räusperte sich, suchte nach Worten. „Sie ist… eine Fremdländerin. Und du bist der Erste Gottesdiener von Ipet-Isut. Es gibt-“
„Oh, ich weiß! Es gibt eine ganze Menge edler und weniger edler Damen in Kemet, die gern da wären, wo Debora ist. Aber ich… will sie nicht nur als meine Bettgenossin! Es ist mir ernst. Ich nehme Debora zur Frau! Sie wird meine rechtmäßige Gemahlin! – Du glaubst, ich habe mein Urteilsvermögen verloren?“
„Nein… natürlich nicht. Es ist nur… ich vertraue ihr nicht. Sie ist kaum mehr als ein Kind und…“
„...ich bin alt genug, ihr Vater zu sein?“ Amenemhat lächelte. „Hat der Unterschied an Jahren je einen Mann davon abgehalten, die Frau seiner Wahl zu nehmen? Nefertari zählte knappe 13 Sommer, als der alte Ramses sie zu seiner Königin machte...“
Menkheperre seufzte, ehe er wiederholte, was seiner Meinung nach den Kern des Problems erfasste: „…eine Fremdländerin, die unsere Sitten und unser Leben nicht kennt.“
„Sie kennt, was nötig ist. Sie hat mehr gelernt als mancher Schüler im Haus des Lebens während der Wochen, die sie
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