Der Skorpion von Ipet-Isut
Amenemhat den letzten Schritt zwischen ihnen überbrückte. „Wenn du den Platz an meiner Seite willst.“
„Ich will“, flüsterte sie und erwiderte sein glückliches Lächeln. Die Welt schien still zu stehen und für diesen Moment die Sphäre der Sterblichen tatsächlich aufgegangen in den göttlichen Gefilden…
Kahotep blickte auf die träge dahin fließenden Wasser des Nils und versuchte, die in ihm flüsternde lästige Stimme zu ignorieren, die von verpassten Chancen erzählte. Wider alles Erwarten hatte sich Amenemhat erholt, und nach der erzwungenen Untätigkeit schien er energiegeladener und gefährlicher als je zuvor. Er verkaufte die heiligen Weihegaben, um die Diener Amuns zu ernähren, anstatt sich dem Pharao zu unterwerfen. Er hatte erneut Botschaften mit der Königlichen Gemahlin getauscht, in deren Folge Kiya ihren Gemahl angefleht hatte, Ipet-Isut zumindest die Hälfte seines Landes zurück zu geben.
Kahotep wusste, dass die Stimmung bei Hofe mehr und mehr gegen ihn war. Die Gerüchte über das Herannahen düsterer Zeiten wie einst unter dem Szepter des Verfluchten Pharao nahmen kein Ende. Und diesmal betrachtete man IHN als den Schuldigen, genau wie er selbst früher Amenemhat als den Urgrund des Übels in Waset gepredigt hatte…
Sein Ende hat in deiner Hand gelegen – und du hast versagt, zischte die Stimme wieder. Kahotep presste die Lippen zusammen, wandte sich vom Ausblick auf den Fluss ab und zurück ins Innere des Thronsaales. Im Netz seiner düsteren Gedanken fiel es ihm einigermaßen schwer, sich auf das Anliegen zu konzentrieren, das der Pharao mit ihm erörtern wollte.
Erst als der Name ‚Ipet-Isut’ fiel, war der Oberpriester des Ptah schlagartig hell wach. Ramses plante, den göttlichen Ratschluss Amuns einzuholen, ob seine Gemahlin Kiya ihm einen Knaben schenken würde! Die Beweggründe des Pharao waren offensichtlich, selbst wenn er nicht die ganze Zeit mit seiner nubischen Favoritin geschäkert hätte. Er suchte einen Grund, sich von der ungeliebten Kiya beizeiten zu trennen und eine Frau seiner eigenen Wahl zu nehmen. Kahotep wusste um diese Absicht des Pharao, und umso mehr setzte er alles daran, ihn vom Besuch in Ipet-Isut abzubringen. Die junge schwangere Gottesgemahlin, Tochter des Oberpriesters von Men-Nefer, war das kostbare Unterpfand für den Wiederaufstieg Ptahs zum obersten Gott der beiden Länder. Mochte sie Ramses auch diesmal vielleicht eine Tochter gebären, so blieb doch noch genug Zeit, auf einen Sohn zu hoffen! Solange der König sie nicht unter einem Vorwand verstieß und sich eine andere Gemahlin wählte!
„Ruhmreicher Horus, es wäre nicht klug, die Weisheit Amun-Ras in Zweifel zu ziehen. Dein göttlicher Vater weiß, dass die beiden Länder einen männlichen Erben brauchen. Er wird dir schenken, wonach du verlangst, wenn die Zeit reif ist!“
„Ich finde, sie ist reif…“ Ramses kitzelte seine Gespielin, die ein geziertes Kichern hören ließ. „Die Pflicht der Königlichen Gemahlin ist es, mir Söhne zu gebären. Wenn sie dies nicht vermag, haben die Götter sie mit einem Fluch gestraft! Und das sollte ich so bald als möglich erfahren, denn wie du immer sagst, mein weiser Berater, ist mein Erbe der Garant für die Stabilität des Reiches!“ Ehe Kahotep etwas erwidern konnte, fuhr der Pharao fort: „Vielleicht hat Amenemhat meine Gemahlin behext, damals bei ihrer Ankunft in Waset?“
Das war ein Ereignis, an das der Ptahpriester nicht sonderlich gern erinnert wurde. Er nahm nicht an, dass der Skorpion von Ipet-Isut die Magie bemüht hatte – aber sein Stachel war auch ohne dies giftig genug! Und die kleine Kiya hatte bei einigen Gelegenheiten erwähnt, wie sehr ihr das Wohl des ‚Heiligen Ortes’ und seiner Priesterschaft am Herzen läge… Möglicherweise versuchte Amenemhat, die Königliche Gemahlin ebenso mit seinem Charme um den Finger zu wickeln wie dereinst Nefertari… Oder er hatte das bereits getan – eine Vorstellung, die Kahotep Übelkeit bereitete. Wenn dem so war… dann war das Kind, das Kiya erwartete, womöglich nicht von Ramses‘ Blut, sondern Amenemhats! Die Übelkeit in ihm verdichtete sich zu brennender Abscheu. Und ER hatte Kiya dem ‚Skorpion’ auf einem goldenen Tablett serviert! Umso wichtiger war es, fand er, Ramses von einem Besuch im Amuntempel abzuhalten. Das brachte ihn und Kiya viel zu sehr in Amenemhats Gewalt.
„Wenn du den Hohepriester von Ipet-Isut unlauterer Machenschaften verdächtigst“,
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