Der Skorpion von Ipet-Isut
entschlossen, jedwedem Zeichen von Schwäche den Kampf anzusagen. Einer seiner Bediensteten setzte gerade einen Wasserkrug vor ihm ab und breitete das Barbierbesteck aus. Als sich ihre Blicke kreuzten, lachte Debora. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf und ihr Herz seien viel zu klein, um das Glück zu fassen, das sie empfand. Sie musste etwas tun, sich bewegen, oder sie würde womöglich zerspringen wie ein Gefäß, was zu lang im Brennofen lag! Am liebsten hätte sie das ganze Haus geschmückt, mit Blumen, feinen Tüchern – mit all dem, was Tameri ihr einst beigebracht hatte, dass es zu einem Fest gehörte! Früher war ihr die Aussicht auf derlei Pflichten stets langweilig vorgekommen. Jetzt schien es ihr etwas vollkommen Selbstverständliches und Wunderbares. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, holte die kleine Weihrauchampel von der Decke und bestückte sie mit neuem Duftharz. Der Rauch, der über den Hof zog, sagte Debora, dass Ipu den Ofen vorbereitet hatte. Sie griff den Topf mit Mehl, Honig und einen Wasserkrug, um Brot zu backen. Bisher hatte Ipu diese Aufgabe erledigt. Als er das junge Mädchen kommen sah, meinte er, dass die Götter ihn wohl doch noch ein Wunder erleben ließen, nach all den Wochen, in denen die rothaarige Fremde trotzig nicht einen Finger gerührt hatte… Einer der anderen Diener huschte soeben grinsend aus dem Haus. Ja, wie es schien war Herr Amenemhat nicht nur wieder gesund, sondern auch bester Laune! Die Dreiheit von Waset sei gelobt! Ipu machte Debora Platz.
Amenemhat sah von den sorgfältig auf Papyrus geschriebenen Listen auf, die einer der Priester ihm vorgelegt hatte. „Das sind alle Opfer, die in den letzten Tagen nach Ipet-Isut gebracht wurden, Pepi?“
„Ja, Erhabener. Die Leute haben… Angst, in Ungnade zu fallen bei Hofe, wenn sie sich zu oft hier sehen lassen.“
Der Hohepriester nickte und senkte den Blick wieder auf die mageren Angaben. „Wie steht es mit den Bauarbeiten in den Tempeln im Süden? Sie sind eingestellt, nehme ich an.“
„Ja. Wir können die Handwerker und Bauleute nicht mehr bezahlen. Die Speicher sind fast leer. Der Pharao hat so gut wie alles in seine Obhut bringen lassen. Vieh und Getreide, was wir noch hatten. Wir können nicht einmal mehr…“ Er verstummte mitten im Satz und machte sich an den Papyri im gegenüberliegenden Regal zu schaffen.
Seinem Vorgesetzten waren die Worte trotzdem nicht entgangen. „Was wolltest du sagen?“
„Wir können… nicht einmal mehr unsere Familien ernähren, Erhabener. Das Neugeborene meines Bruders ist gestern gestorben, weil seine Mutter nicht mehr genug Milch hatte, um es ausreichend zu nähren.“
Amenemhat ließ den Kopf in die Hände sinken und fühlte sich mit einem Mal wieder sehr müde. Das Eintreten des Vierten Gottesdieners unterbrach seine Gedanken. Menkheperre wischte sich den Staub aus dem Gesicht – er war in West-Waset zur Inspektion der Gräber unterwegs gewesen – und musterte Amenemhat erstaunt.
„Ich wusste nicht, dass du schon wieder auf den Beinen bist!“
„Nun, ich konnte meinen Gegnern nicht noch länger Zeit lassen, sich an meiner Abwesenheit zu freuen“, erwiderte er mit einem schiefen Lächeln. „Aber ich habe schlechte Neuigkeiten gehört. Das Kind von Pepis Bruder…“
Menkheperre seufzte.
„Bis wir das Problem unseres Landes und der Einkünfte dauerhaft gelöst haben, sollen einige von den alten Weihegaben der Könige verkauft werden!“ Den unbehaglichen Blick Pepis und auch Menkheperres bemerkend, fuhr Amenemhat fort: „Nein, ich denke nicht, dass dies als Sakrileg zu betrachten ist. Die Pharaonen vor Iny haben Ipet-Isut mit diesen Gaben beschenkt, um Amun gnädig zu stimmen. Iny hat seine Pflicht vergessen. Also bleibt mir keine andere Wahl, als diese Gaben für das zu verwenden, für das sie ursprünglich bestimmt waren: Heil und Leben für die Töchter und Söhne Kemets zu gewährleisten!“
Mit mehr Mühe als ihm lieb war, vor den Anderen zuzugeben, stand der Hohepriester auf und griff nach der behelfsmäßigen Krücke. „Ich werde inspizieren, was wir haben, und was davon entbehrlich ist.“
„Schicke den Zweiten Gottesdiener“, schlug Menkheperre vor. „Du solltest dich noch etwas ausruhen.“
„Auf keinen Fall! Ich habe lange genug untätig herum gelegen! – Und, wie ist die Situation in West-Waset? Gab es wieder Einbrüche und Überfälle?“
„Leider ja. Aber die Schuldigen sind entwischt. Richtung Nubien, wie es scheint. Der
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