Der Skorpion von Ipet-Isut
bewahren wird, Menkheperre!“
„Die heiligen Schutzzeichen entfernen? Aber...“
„Aber was? Jedes einzelne dieser Amulette sollte dazu dienen, den Körper zu beschützen, damit das Ka eine dauerhafte Heimstatt hat. Doch sie erfüllen genau den entgegen gesetzten Zweck, weil die Grabräuber alles zerstören, nur um sich in ihren Besitz zu bringen, ganz gleich, mit welchen Strafen wir den Frevel belegen! Also ist es dem ewigen Leben dienlicher, wenn wir die Toten von diesem Schmuck befreien!“
„Wenn du es sagst...“ Menkheperre unterdrückte einen Seufzer und fuhr fort: „Und du, hast du mit unserem Gefangenen gesprochen, wie du vorhattest?“
„Ja. Nicht viel Neues. Ein Mann mit einer Narbe am rechten Handgelenk gab ihm den Auftrag; ein Mitglied des Hofes, wie wir ja beide vermuten. Aber ich werde heraus finden, wer es war!“
„Ich habe keine Zweifel, dass derjenige seinen Eifer bereuen wird.“
„Das wird er.“ Amenemhat lächelte kurz.
Der Riss durchzog den Felsen in einem schmalen, doch tiefen und zerklüfteten Band, beinahe unsichtbar, wenn man sich ihm direkt näherte. Nur ein Blick vom Berghang oberhalb offenbarte den Zugang zum Versteck. Amenemhat und Menkheperre bewegten sich vorsichtig abwärts durch den Schacht, dessen Boden mit Geröll und Sand bedeckt war. Auf letzterem waren die Fußspuren der Unternehmung von vergangener Nacht noch deutlich zu erkennen. Wenn sie heute diesen Ort verließen, mussten alle Spuren verwischt werden, die Eindringlinge neugierig gemacht hätten…
Halb gebückt, um nicht an die Felsendecke über ihm zu stoßen, blieb Amenemhat stehen, um Atem zu schöpfen. Menkheperre mochte Recht gehabt haben, diese Prozedur war noch eine zu große Zumutung für seinen Körper. Aber er wollte weder sich eine längere Schonzeit gönnen, noch den Grabräubern! Die kleine Öllampe in seiner Hand warf ihren flackernden Lichtschein über das Gestein und den anderen Priester, der sich vor ihm hinunter tastete. Menkheperre trug genau wie er selbst ein Bündel mit Papyri, Leinenbinden, Ölen und Weihrauch auf dem Rücken. Merkend, dass das Licht der zweiten Lampe schwächer wurde, wandte sich der Vierte Gottesdiener jetzt um.
Es schien Amenemhat unverhältnismäßig lang, bis sie den Grund der Schlucht erreicht hatten und das letzte kurze Wegstück hinter sich gebracht, das in einer niedrigen Höhle mündete. Hier hatten Menkheperre und seine Helfer die fünfzehn Mumien von Königen und Würdenträgern untergebracht. Jahrhunderte hatten sie prunkvoll ausgeschmückte Gräber ihr Eigen genannt, und jetzt lagen sie hier auf einfachen hölzernen Bahren, in einem überfüllten Elendsquartier. Doch besser so als aller Würde beraubt und zerstört in einer beraubten Grabkammer! Amenemhat setzte sein Bündel auf die Erde und entnahm ihm das kleine Räucherfass. „Fangen wir an!“
In den folgenden Stunden entfernten die beiden Amunpriester die obere Schicht der Bandagen von den geretteten Mumien und die in ihnen liegenden Amulette. Menkheperre war nicht wohl dabei. Amenemhats Entscheidung mochte logisch und vernünftig klingen, aber nichts desto weniger kam es ihm vor, als ob sie ein Sakrileg begingen und stahlen. Genau wie die Grabräuber, nur vielleicht etwas vorsichtiger… Wie würden die Götter über ihr Tun urteilen, insbesondere Usire, der Herrscher des Totenreiches? Und würde den Kas der Verstorbenen genügen, was sie hier taten, um den Weg zurück in ihre Hüllen zu finden? Er rezitierte die heiligen Texte mit besonderer Inbrunst, während Amenemhat die neuen Bandagen anlegte. Anstelle der goldenen Schutzzeichen, die so die Begehrlichkeit geweckt hatten, wickelte er magische Formeln auf kleinen Papyrusstücken ein, oder malte mit dem Schreibbesteck die wichtigsten Zeichen direkt auf die Leinenbinden.
Als sie mit der Versorgung des letzten Leichnams fertig waren, hatte die angestrengte Arbeit der vergangenen Stunden und der konzentrierte Duft der Öle und des Weihrauchs dafür gesorgt, dass ihnen beiden der Kopf dröhnte und die Augen tränten. Selbst das Atmen in der engen unterirdischen Felsenkluft war zu einer unverhältnismäßig großen Anstrengung geworden. Menkheperre hustete und griff nach dem mitgebrachten Wasserkrug. Wie erwartet war er fast leer unterdessen. Er warf einen Blick nach oben in den Schacht, durch den sie gekommen waren. Vermutlich war die Sonne bereits aufgegangen…
Aber noch waren sie nicht fertig! Er streckte die Hand aus und berührte
Weitere Kostenlose Bücher