Der Skorpion
Reporter Ivor zu einem Drink einlud. Ivor könnte dem Kerl ohne weiteres Einzelheiten über die Ermittlungen verraten, von denen nur die Polizei wusste. Unter Druck würde er aber doch eher über die Aliens faseln, die ihn zu dem Mordschauplatz getrieben hatten, wodurch der Reporter den Alten als unzuverlässige Informationsquelle abtun würde.
Oder auch nicht.
Sobald Grayson eingefallen war, wie er Ivor daran hindern konnte, bei der Presse, einem Nachbarn oder irgendwem, der ihm für eine tolle Story einen Drink anbot, das Maul aufzureißen, würde er ihn laufenlassen.
Doch Ivor Hicks war nicht seine einzige Sorge. Das FBI war auch schon eingeschaltet, was allerdings nicht unbedingt schlecht war. Im Augenblick hatte er das Gefühl, alle Hilfe zu brauchen, die er nur bekommen konnte, von der Polizei des Bundesstaates bis zum FBI .
Geistesabwesend zupfte Grayson an seinem Schnurrbart und sah hinaus in den vom Nordwind getriebenen Schnee. Laut Wetterbericht war ein weiterer Schneesturm zu ihnen unterwegs. Also noch mehr Hiobsbotschaften. Das Revier war ohnehin schon völlig überlastet. Straßen wurden gesperrt, Elektriker arbeiteten in Doppelschicht, um die Strom- und Gasversorgung der Stadt zu gewährleisten, und während manche Leute ohne Heizung waren, stiegen gewisse Idioten immer noch in ihre Autos und fuhren sie zu Schrott, und als ob das nicht genug wäre, plante irgendwo in der hereinbrechenden eiskalten Nacht ein Psychopath seinen nächsten Zug.
Grayson verzog den Mund zu einer Seite. »Nicht in meinem Bezirk«, sagte er, doch die Worte klangen selbst in seinen Ohren hohl. Drei Morde waren bereits begangen worden, sämtlich auf dem Gebiet von Pinewood County. Er konnte nur hoffen, dass nicht noch mehr folgten.
Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.
»Sheriff«, sagte Selena Alvarez, als er über die Schulter zu ihr hinsah. »Ich dachte, Sie würden gern wissen, was wir über das dritte Opfer herausgefunden haben.«
»Sagen Sie doch einfach, dass Sie wissen, wer der Killer ist.«
Alvarez’ braune Augen wurden eine Spur dunkler. »Wir wissen es immer noch nicht«, gab sie zu. Sie war ernst, noch ernster als sonst, ihre Mundwinkel hingen herab, ihr schwarzes Haar war im Nacken zu einem Knoten geschlungen, zwischen den schwarzen Bögen ihrer Augenbrauen waren ein paar feine Fältchen erkennbar. Selena Alvarez mit ihrem messerscharfen Verstand erfüllte ihre Pflicht immer hundertzwanzigprozentig, doch aus ihrem Privatleben machte sie ein Geheimnis.
Was aber nichts zu bedeuten hatte.
Er folgte ihr durch einen kurzen Flur zu dem Raum, der der sich formierenden Einsatzgruppe vorbehalten war. An den zerkratzten grünen Wänden waren Tafeln mit Bildern und Informationen zu jedem einzelnen Opfer angebracht, einschließlich der Einzelheiten ihres Todes. Fotos von den Leichen, den Fahrzeugwracks und Führerscheinen der Opfer gehörten ebenfalls dazu. Theresa Kelpers Bilder samt Info hingen neben Nina Salvadores, und auf dem dritten Feld stand der Name Mandy Ito mit einem Fragezeichen.
»Schon identifiziert?«, fragte Grayson.
»Nicht endgültig, aber ihre Initialen sind M und I oder I und M«, erklärte Alvarez, »und auf unserer bundesweiten Suche nach einer vermissten Asiatin haben wir Mandy Ito gefunden. Single, Friseurin aus Spokane in Washington, wird vermisst seit der zweiten Novemberwoche, nachdem sie mit Freunden ein Wochenende in Whitefish verbracht hatte. Jetzt überprüfen wir diese Freunde und die Eltern.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir warten immer noch auf den Lichtbildausweis von der Kraftfahrzeugbehörde in Washington.«
Sie deutete auf eine große Karte von Pinewood County an einer der anderen Wände. Reißzwecken markierten die Stellen, wo die Leichen und die zertrümmerten Autos gefunden worden waren. Drei rote Pins kennzeichneten die Fundorte der Leichen, jeder in einem anderen kleinen Tal der Gebirgskette. Zwei gelbe Pins zeigten an, wo die Autowracks entdeckt worden waren. Um das Gebiet herum war ein großer Kreis gezogen, und auch die Entfernungen zwischen den Tatorten waren angegeben.
Grayson betrachtete die Karte. »Sie haben mit allen gesprochen, die dort Grundbesitz haben oder dort leben?«, fragte er und tippte auf die Mitte des Kreises.
»Wir sind noch dabei. Ist eine ziemlich abgelegene Gegend. Ein paar Sommerhäuser, aber nicht viele. Wenige Ganzjahres-Bewohner.« Sie sah zu ihm auf. »Mit den meisten haben wir gesprochen.« Bevor er nachfragen konnte,
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