Der Skorpion
wusste, im Gefängnis und versuchte, seine Unschuld zu beweisen.
Ihre Gespräche mit der Polizei waren zäh und spannungsreich gewesen. Zuerst war sie von den beiden Polizistinnen vom Büro des Sheriffs von Pinewood County, Regan Pescoli und ihre Partnerin, die ruhigere Selena Alvarez, verhört worden. Darauf folgte dann das lustige Frage-und-Antwort-Spiel mit dem FBI .
Wie es aussah, wollten alle, die irgendwie mit der Polizei zu tun hatten, MacGregor für die Mordserie der letzten Zeit hängen sehen. Sie wollten natürlich Antworten – eine Lösung –, und sie waren ganz erpicht darauf, jemandem die Sache anzulasten, jemandem wie MacGregor.
Jillian hatte klar zu verstehen gegeben, dass sie ihre Theorien gegen den Mann, der sie ihrer festen Überzeugung nach gerettet hatte, nicht unterschrieb. Die Polizisten waren verärgert, weil sie sich so besorgt um MacGregors Schicksal und das Wohlergehen seines Hundes zeigte, statt ihn als Serienmörder ans Messer zu liefern.
»Das ist lächerlich«, hatte sie gesagt und konnte ihren Ärger nicht verbergen, während Alvarez sich Notizen machte und das Gespräch mit einem Diktiergerät aufzeichnete. Sie war zierlich, mit scharfen Zügen und schwarzem, im Neonlicht blau schimmerndem Haar, und offenbar die Ernstere, weniger Aufbrausende von den beiden.
Die größere Polizistin, Pescoli, hatte bei der Tür gestanden, so als wollte sie ein wenig Abstand zwischen sich und Jillian legen. Sie war, jetzt mitten im Winter, braungebrannt und sommersprossig; anscheinend verbrachte sie viel Zeit im Freien. Doch unter dem Neonlicht des Krankenhauses wirkte Pescoli todmüde, man sah dunkle Ringe unter den Augen. Lockiges rotbraunes Haar umrahmte ein kantiges, unnachgiebiges Gesicht. Sie war sehr engagiert. Getrieben. Fast wütend.
»MacGregor hat mir nichts getan«, versicherte Jillian. »Meine Güte, er hat mich gerettet. Sie haben doch gesehen, wie er mich von dem Baum forttrug, an dem ich … an dem ich gefesselt zurückgelassen worden war. Ohne Zane MacGregor wäre ich jetzt tot!«
Die Cops zeigten sich unbeeindruckt. »Aber woher wollen Sie wissen, dass er es nicht war, wenn Sie den Angreifer doch gar nicht gesehen haben?« Pescoli verschränkte die Arme vor der Brust, beinahe so, als wollte sie Jillian dazu bringen, sie anzulügen.
»Ich weiß es eben«, beteuerte sie. »Ich habe das Gefühl, dass derjenige, der sich von hinten auf mich gestürzt hat, nicht so groß und so schwer war wie MacGregor.«
Alvarez griff ein. »Aber Sie haben wirklich nicht mal einen flüchtigen Blick in sein Gesicht erhascht oder irgendwelche unveränderlichen Kennzeichen gesehen?«
»Nein.«
»Haben Sie seine Hände sehen können?«
»Nein. Nur … schwarze Handschuhe. Und ich habe sein Gewicht gespürt, als er mich zu Boden rang. Er hat mir einen Lappen aufs Gesicht gedrückt, ich habe mich gewehrt, konnte ihn aber nicht abschütteln. Dann wurde ich bewusstlos.«
Pescoli nickte. »Aber es stimmt, dass MacGregor seit Stunden außer Haus war, oder? Sie wussten nicht, wo er steckte.«
»Er hatte mir ein Gewehr dagelassen. Eine Geste, mit der ich nicht rechnen würde, wenn er mich hätte umbringen wollen.«
Sie reagierten nicht darauf.
Jillian fügte hinzu: »Er würde doch niemals seinen eigenen Hund erschießen!«
Pescoli bemerkte ruhig: »Er hat wegen Mordes eingesessen.«
»Totschlag«, berichtigte Jillian wütend. Das war doch Wahnsinn! »Er hat mir davon erzählt.«
»Tatsächlich?« Pescoli gab sich keine Mühe, ihre Skepsis zu verbergen. Sie kam näher und blieb neben Jillians erhöhtem Bett stehen. »Sie haben lediglich seine Version gehört. Übrigens befindet er sich jetzt in Untersuchungshaft.«
»Weswegen? Aber habe ich es Ihnen nicht gerade gesagt? Der Mann hat mir das Leben gerettet!« Jillian hatte begriffen, warum sie MacGregor als Verdächtigen einstuften, aber dies aus dem Mund der Polizistinnen zu hören, ließ es umso realer erscheinen.
Die sanftere Polizistin, Alvarez, schlug vor: »Erzählen Sie uns doch einfach von Anfang an, was sich zugetragen hat. Warum sind Sie überhaupt nach Montana gekommen? Sie stammen aus Seattle, nicht wahr?«
Also berichtete Jillian alles, woran sie sich erinnerte, von der Zeit in Seattle, als sie die anonymen Anrufe wegen Aaron erhielt, bis zu der Zusendung der Fotos von ihrem toten Gatten. Sie erklärte, was ihr von dem Autounfall und ihrer Rettung in Erinnerung geblieben und wie sie in Zane MacGregors Hütte wieder aufgewacht
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