Der Skorpion
Weile versorgen.«
»Ich spreche mit ihr«, sagte Linnie erleichtert.
»Gut. Grüße Reece und Carrie von mir. Sag ihnen, dass Tante Jillie sie hoffentlich bald wiedersieht.«
»Klar! Und, wie gesagt, ich regele die Sache mit den Reportern, mach dir keine Sorgen. Wir feiern dann, wenn wir beide wieder zu Hause sind. Nach Neujahr. Ich … ich gebe dann eine Party.«
»O nein, bitte nicht.« Bei dem Gedanken an Linnies überzogene Gala-Partys schauderte es ihr.
»Wie du willst«, antwortete Linnie leicht gekränkt.
Jillian ließ sich kein schlechtes Gewissen einreden. Ja, sie liebte ihre Mutter, doch es ließ sich nicht leugnen, dass diese Frau überaus anstrengend war. Sie beendete das Gespräch und überlegte weiter, wie sie aus dem Krankenhaus entkommen konnte. Sie hatte keine Zeit herumzugammeln. Jemand schien sich in den Kopf gesetzt zu haben, sie umzubringen, und ihr Retter, Zane MacGregor, saß im Knast. Sie hatten ihm sogar Handschellen angelegt, du liebe Zeit. Ihr Auto war Schrott, ihr Handy konfisziert, und jemand versuchte, ihr einzureden, dass ihr erster Mann noch lebte.
Sie kratzte sich am Handgelenk, wo das Pflaster zu jucken begann, das die Tropfbraunüle hielt, und dachte über ihre Zukunft nach, was sie nach ihrer Entlassung tun würde. In den vergangenen zehn Tagen hatte sich ihr Leben unwiderruflich verändert. Sie wusste zwar immer noch nicht, ob Aaron lebte oder nicht, sie hatte keine Ahnung, wer sie umbringen wollte, und dann war da auch noch Zane MacGregor, in den sie sich, so albern es war, offenbar verliebt hatte.
Verliebt? Aber du kennst den Mann kaum. Die Polizei verdächtigt ihn, an deiner Entführung beteiligt zu sein. Zehn Tage Eingesperrtsein in einer Hütte macht noch keine Liebesgeschichte. Das ist doch Wahnsinn. Wahrscheinlich liegt es am Vicodin.
Sie rückte an die Bettkante heran und spähte in den Flur hinaus. Die Tür zu ihrem Zimmer stand offen, und über das Scharren von Schritten und Klingeln eines Aufzugs hinweg hörte sie Gesprächsfetzen.
Eine schrille Stimme sorgte sich um einen Patienten im Zimmer 314 , fürchtete, dass die Antibiotika seine Lungenentzündung nicht zum Stillstand brachten. Sie fragte sich, wo der Doktor stecken mochte.
Eine andere Stimme, männlich, gab jemandem per Telefon Anweisungen hinsichtlich der Dosierung von Medikamenten.
Eine dritte gab Klatsch und Tratsch zum Besten, und Jillian biss die Zähne zusammen, als sie hörte, dass sie das Gesprächsthema war.
»… anscheinend genau wie die andern. Kein Faden am Leib, an einen Baum gebunden. Ist das zu fassen?«
Die Antwort konnte Jillian nicht hören.
»Ich weiß, es ist mehr als gruselig, sich vorzustellen, dass sich ein Serienmörder hier in Grizzly Falls herumtreibt. Warum ausgerechnet hier? Ich sage immer wieder zu Jason, hier leben wir doch am Ende der Welt, wie kommt solch ein Psychopath dann hierher? … Was? Ach, das glaube ich nicht. Jemand, den wir kennen? Das wäre ja unheimlich. Wirklich, Dorftrottel haben wir reichlich. Oh, das war nicht politisch korrekt. Ich wollte sagen, wir haben hier reichlich Lokalkolorit, denk nur an Ivor Hicks, der glaubt, er wäre von Aliens entführt worden.«
»Entführt, und er kriegt immer noch Befehle von denen«, sagte die andere Frau, und Jillian erkannte Schwester Claires nasale Stimme. »Und nicht zu vergessen Grace Perchant, die eines der Autos entdeckt hat. Das ist die, die Gespenster sieht.«
»Geister. Sie steht in direkter Verbindung mit der Geisterwelt.«
»Ja, klar. Wenn du mich fragst, lebt Grace selbst längst in einer anderen Welt.« Sie kicherten zusammen. Dann klingelte ein Telefon und unterbrach ihr Gespräch.
Toll, dachte Jillian und sehnte mehr denn je ihre Entlassung aus dem Krankenhaus herbei. Sie hielt sich erst seit ein paar Stunden in ihrem Zimmer auf, und schon fiel ihr die Decke auf den Kopf. Und das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war eine weitere Vernehmung durch die Polizei. Sie hatte ihre Aussage gemacht und war nicht nur von zwei Polizistinnen, sondern auch von einem Team von FBI -Agenten verhört worden, die sie sämtlich für ein Opfer und Zane MacGregor für den Perversen hielten, der diese Gegend in den Bitterroot Mountains mit Schrecken überzog.
Jillian wusste es jetzt besser.
Seit MacGregor sie von dieser einsamen Zeder losgeschnitten und auf seinem Rücken in Sicherheit gebracht hatte, vertraute sie ihm völlig. Zane MacGregor wollte ihr nichts Böses, und jetzt saß er, soviel sie
Weitere Kostenlose Bücher