Der Skorpion
immer noch die Gefahr, dass er ein Bein verliert, aber er wird leben.«
»Ein Glück. Es tut mir so leid.«
»Es war nicht deine Schuld.«
»Ich hätte ihn nicht rauslassen dürfen.«
»Und dann? Hätte er in der Hütte sein Geschäft verrichten sollen? Schon gut, Jillian. Ihr lebt beide. Das allein ist wichtig.« Jetzt erst bemerkte sie, dass er immer noch ihre Hand hielt.
Als ob auch er sich erst jetzt der Berührung bewusst wurde, ließ er ihre Hand langsam los und trat einen Schritt zurück.
»Du siehst scheußlich aus«, sagte sie leise.
»Das bringt eine Nacht im Gefängnis von Pinewood County wohl so mit sich.«
»Bist du ausgebrochen?«
Er hätte beinahe gelacht. Sie erkannte es in seinem müden Blick. »Nein. Sie mussten mich rauslassen, wegen Mangel an Beweisen. Und sie waren stinksauer deswegen, genauso stinksauer, wie der Wachmann vor deiner Tür auf mich ist. Er wollte mich nicht reinlassen, aber ich habe eine der Schwestern beschwatzt, die ihm empfahl, mich in Ruhe zu lassen.«
»Und da hat er dich in Ruhe gelassen?«
»Einigermaßen.«
Sie blickte an MacGregor vorbei zur offenen Tür, von wo ein Polizist von kleiner Statur böse ins Zimmer sah, aber nicht hereinkam. Er wollte zwar über die Schwelle treten, doch Jillian schüttelte den Kopf, erwiderte seine bösen Blicke und ließ ihn stumm, aber unmissverständlich wissen, dass er sich fernzuhalten hatte.
»Ich muss hier raus«, sagte sie leise zu MacGregor.
Er zog einen Mundwinkel hoch. »Lagerkoller?«
»Krankenhauskoller, ja.«
»Und was hast du vor? Willst du nach Hause?«, fragte er und kniff ganz leicht die Augen zusammen.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe noch was zu erledigen.« Sie fand die Bedientasten für das Bett und richtete das Kopfende so ein, dass sie sitzen konnte.
»Was hast du vor?«
»Ich werde Aaron finden, falls er noch lebt.«
»Glaubst du, dass er noch lebt?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Vielleicht war es nur eine ausgeklügelte Masche, um mich hierherzulocken; ich weiß es nicht. Ich möchte nur zu gern glauben, dass ich ein Irrtum war, dass dieser wahnsinnige Mörder, der sich hier in der Gegend herumtreibt, auf das falsche Auto geschossen hat. Aber seit dem Überfall, dem ich den Krankenhausaufenthalt verdanke, musste ich meine Meinung ändern. Der Kerl, wer er auch sein mag, will mich tot sehen.«
»Dann solltest du die Sache der Polizei überlassen.«
Sie sah ihn an. Sehr eindringlich. »Würdest du das tun?« Als er nicht antwortete, lächelte sie leicht. »Okay, ich kenne die Antwort auch so. Und die Polizei verlangt wahrscheinlich, dass ich mich irgendwo in Sicherheit bringe und mich verstecke.«
»Wahrscheinlich.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand zweimal versucht hätte, dich umzubringen? Dich überfallen, ausgezogen und an einen Baum gebunden hätte?« Wieder wurde ihr heiß vor Wut, Adrenalin schoss durch ihre Adern. »Ich kann schießen. Ich habe Kurse in Selbstverteidigung absolviert. Ich bin keine Zimperliese …«
»Und im Moment bist du wütend und selbstgerecht«, sagte er. »Aber du hast recht, mir würde es genauso gehen. Trotz all deiner Qualifikationen ist der Kerl dir aber in einer Hinsicht überlegen.«
»Und zwar?«
»Er ist verrückt, Jillian. Ein ausgemachter, waschechter Psychopath. Du kannst dir die Schlechtigkeit seiner schwarzen Seele nicht einmal annähernd vorstellen, also überlass die Ermittlungen lieber der Polizei. Lass sie ihre Arbeit tun.«
»Weil sie bisher so Großartiges geleistet haben? Wie viele Frauen sind inzwischen tot? Vier? Fünf?«
»Vier sind tot, zwei im Krankenhaus, dich inbegriffen.«
»Sechs Opfer.« Sie begann, an der Tropfbraunüle zu nesteln, zog das Heftpflaster ab. »Und weißt du was? Ich habe das Gefühl, dieser Kerl ist noch nicht fertig. Deshalb habe ich keine Lust, hier als Lockvogel im Krankenhaus zu liegen, okay? Ich will mich nicht auf Schwester Claire und diesen Miet-Wachmann im Flur als Lebensretter verlassen. Jedermann weiß, dass ich hier bin; ich habe es in den Nachrichten gesehen. Und ich möchte wetten, der Grund dafür, dass ich noch keinen Besuch von Reportern bekommen habe, liegt darin, dass die Klinikverwaltung sie abblockt und die Polizei sie überprüft. Soll die Polizei behaupten, ich wäre noch hier; es kann mir nur recht sein. Aber ich mag nicht hier herumliegen und hoffen, dass mich irgendwelche Wachleute beschützen.«
»Ich könnte bei dir …«
»Willst
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