Der Skorpion
Parkplatz. Es war noch früh, der Verkehr nur spärlich, und sie hatte schon beinahe den Gipfel von Boxer Bluff erreicht und das Gefängnis passiert, als ihr Handy klingelte.
Sie meldete sich, als sie gerade auf den Parkplatz bog, der während der letzten paar Stunden vom Schnee geräumt worden war. »Pescoli«, sagte sie, ohne einen Blick aufs Display.
»Hey, Regan.« Luckys Stimme klang tief und heiser dank zu ausgiebigen Zigarettenkonsums und nicht genügend Schlaf, falls sie richtig vermutete. »Eben hat Jeremy angerufen.«
Pescoli zog die Handbremse. »Ach? Und was hatte er zu seiner Entschuldigung zu sagen?«
»Er hat mir die Geschichte erzählt, wie er und ein paar Freunde ein paar Bier getrunken hatten und erwischt wurden, das volle Programm.« Er gähnte, und Pescoli sah ihn vor sich in Boxershorts und einem T-Shirt, das an den Schultern spannte – Lucky Pescolis Vorstellung von einem Pyjama. Sicherlich mit zerzaustem Haar, starkem Bartschatten und verschlafenen braunen Augen.
Dies hatte sie früher einmal angemacht. Aber jetzt schon lange nicht mehr.
»Hat er dir auch erzählt, dass ich ihn die ganze Nacht im Jugendknast hab sitzen lassen?«
»O ja.«
»Und warum hat er dich angerufen?«
Zunächst folgte eine Pause, dann kam er gleich zur Sache. »Jeremy will bei mir und Michelle wohnen.«
»Mach keine Witze.«
»Das sagt er aber.«
»Und du glaubst ihm?« Sie sah rot, umklammerte das Handy, als hinge ihr Leben davon ab. »Er mag dich doch nicht mal am Wochenende besuchen, Lucky! Und jetzt will er einen Dauerzustand herstellen?« Was hatte es dann mit Jeremys Sprüchen vor ein paar Tagen, dass Lucky nicht sein richtiger Vater war, auf sich?
»Das sagt er.«
»Weil er sauer ist. Das legt sich.« Ein Atemzug, und ihr Herz begann zu flattern. »Moment mal. Du
willst
es so?« Die Welt drehte sich plötzlich falsch herum.
»Michelle und ich haben darüber geredet.«
»Halte deine Frau aus dieser Sache raus. Sie ist
nicht
die Mutter der Kinder.«
»Aber ich bin ihr Vater. Bianca ist meine Tochter, und in Jeremys Leben war ich der bedeutendste männliche Einfluss.«
»Tja, das erklärt seinen plötzlichen Anfall von Wahnsinn!«, sagte sie hitzig.
»Regan, sieh den Tatsachen ins Gesicht. Du arbeitest doch ständig.«
»Und wenn du nicht arbeitest, bist du unterwegs.«
»Michelle kann in meiner Abwesenheit für die Kinder da sein.«
»Michelle ist selbst noch ein Kind! Du liebe Zeit, Lucky, das kann doch nicht dein Ernst sein!« Sie bemerkte im Rückspiegel eine Bewegung, und ihr wurde ein bisschen flau im Magen, als sie Cort Brewsters Pick-up erkannte, den der Undersheriff in die ihm zugewiesene Parkbucht steuerte.
»Vielleicht ist es Zeit für eine Veränderung, Regan«, sagte Lucky so ruhig, dass sie ihn am liebsten geschüttelt hätte, bis er zur Vernunft kam. »Ich bin verheiratet, nicht so labil wie du. Jeremy weiß von den Männern …«
»Männern?«, wiederholte sie wie vor den Kopf geschlagen. Ja, sie hatte ein paar Mal einen Freund gehabt, aber keiner von ihnen hatte je bei ihnen gewohnt oder sich auch nur in ihrem Haus blicken lassen. Nein, sie war keine Jungfrau, doch sie war länger abstinent gewesen, als ihr lieb war.
Vor ihrem inneren Auge tauchte Nates Bild auf, mit seinem sexy schiefen Lächeln und dem durchtrainierten Körper. Er war ein Naturbursche, konnte gut mit Tieren umgehen und ach, so gut mit ihr. Ja, sie stand auf ihn. Ja, der Sex war phänomenal. Nein, es störte die Beziehung zu ihren Kindern nicht. Nate kam nie an erster Stelle. Stets die Kinder.
Aber ihr Beruf – nun ja, ihr Beruf forderte ihr eine Menge ab.
»Jeremy weiß, dass du was mit irgendeinem Herumtreiber hast.«
»Mein Privatleben, auch das nicht vorhandene, ist nicht das Thema. Ich kümmere mich um die Kinder, Lucky, und du weißt das auch.«
»Du arbeitest ständig.«
»Außer wenn ich mit irgendeinem Herumtreiber vögle, nicht wahr? Hör mir mal gut zu, Lucky. Ich war dir seit unserer ersten Begegnung treu. Du dagegen wusstest offenbar nicht mal, wie das Wort ›Ehebruch‹ buchstabiert wird, also steig von deinem hohen Ross und halte mein Privatleben da heraus. Ich habe mir Mühe gegeben, mit dir klarzukommen, weil du Biancas Vater bist, aber wenn alle Stricke reißen, nehme ich dir die Kinder weg.«
»Michelle und ich führen ein geregelteres Leben, wir sind finanziell abgesichert.«
»Und warum? Weil du mir rückwirkend mehr als siebentausend Dollar Unterhalt und Arztkosten
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