Der Skorpion
Blick in den Seitenspiegel ließ Pescoli den Motor an. »Über den Jäger? Ja, wer weiß?«
»Nein, über dich.« Alvarez schnallte sich an, als der Jeep sich zwischen zwei Fahrzeugen blitzschnell in den Verkehr einfädelte. »Ihre Warnung.«
»Grace ist verrückt.«
»Ja, ich weiß, aber …«
»Nichts aber, und halte mir jetzt keine Standpauke wegen des Rauchens, okay? Das ist meine letzte.« Sie entnahm ihrer Schachtel die letzte Zigarette, und Alvarez verbiss sich ausnahmsweise mal eine spöttische Bemerkung, als Pescoli sich Feuer gab, das Fenster einen Spalt öffnete und die Zigarette an die Öffnung hielt, damit der Rauch abzog. Ob Regan Elizabeth Pescoli es nun zugab oder nicht, sie war schwer getroffen. Grace’ Weissagungen trafen nicht immer ins Schwarze, doch ihre Erfolgsbilanz würde jeden in Sorge versetzen.
»Falls der Irre hinter mir her sein sollte, ich bin bereit.« Sie schnaubte. »Er müsste schön dumm sein, sich eine Polizistin als Zielscheibe auszusuchen.«
»Vielleicht will er damit etwas sagen. Uns immer wieder zeigen, wie schlau er ist.«
Regan zog heftig an ihrer Zigarette und blies den Rauchstrom aus dem Mundwinkel. »Weißt du, wenn sich irgendwer an mir rächen oder mir eins auswischen will, dann ist es mein Ex. Lucky schwafelt davon, die Kinder zu sich zu nehmen.«
»Tatsächlich?«
Wieder schnaubte sie. »Ich sollte sie ihm überlassen. Es würde nicht einmal einen Monat gutgehen.« Sie wechselte die Spur, und der Jeep reihte sich in den Verkehrsfluss ein, der bergauf nach Boxer Bluff strebte. Alvarez gefiel ganz und gar nicht, was sie in dem Restaurant erlebt hatten. Sie machte sich Sorgen um Regan. Als sie aus dem Fenster blickte, schneite es wieder heftig, und während der Jeep bergauf fuhr, kamen die Fälle in Sicht. Wildes schäumendes Wasser, das über einen Felsvorsprung stürzte, hatte die Siedler vor fast zweihundert Jahren gezwungen, sich an den tiefer gelegenen Ufern niederzulassen.
»Im Moment ist Lucky der beliebtere Elternteil«, fuhr Pescoli fort. »Ich bin die Autoritäre.« Sie warf einen Blick in Alvarez’ Richtung. »Ich stehe auf der Verliererseite.«
Ein Handy klingelte. »Das ist meines«, sagte Alvarez.
»Grayson hier«, meldete sich der Sheriff, als sie das Gespräch annahm. »Jillian Rivers hat sich aus dem Krankenhaus entlassen. Sie war mit Zane MacGregor zusammen.«
Alvarez seufzte auf. »Hat sie den Verstand verloren?«
»Wir können nichts tun. Sie will keinen Polizeischutz. Wir glauben nicht, dass sie die Zielscheibe des Serienmörders ist, und ich vermute, dass sie unseren Zuständigkeitsbereich verlässt. Das FBI ist nicht beteiligt, weil es keine Entführung ist und auch nichts mit den Ermittlungen in der Mordserie zu tun hat.«
»Na toll.«
»Und es kommt noch besser«, versicherte Grayson. »Chandler hat gerade aus Missoula angerufen. Donna Estes ist heute Nachmittag verstorben. Jemand hat das Beatmungsgerät abgestellt, bevor die Agenten eingetroffen waren.«
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27. Kapitel
D as Problem mit der Rückkehr nach Spruce Creek bestand darin, dass das Städtchen nordwestlich von Grizzly Falls lag. Wenn sie dorthin fuhren, würden sie sich von Missoula wegbewegen, wo Jillian alle Antworten auf ihre Fragen vermutete.
Oder?
Immer noch hatte sie das Gefühl, dass sie etwas übersah, dass irgendeine wichtige Information direkt vor ihrer Nase oder verschüttet in ihrem Unterbewusstsein lag. Doch sie hatte sich auf diesen Plan eingelassen, in der Hoffnung, in Spruce Creek, ihrem letzten Zwischenstopp vor dem Schuss auf ihren Subaru, mehr herauszufinden.
In der Kleinstadt angekommen, hatten sie kein Problem, den Coffeeshop mit Feinkostladen und Imbiss zu finden, in dem sie eingekehrt war. MacGregor parkte den Wagen und stieg an Jillians Seite, die immer noch an der lästigen Krücke ging, die wenigen Stufen zu der alten gläsernen Eingangstür hinauf.
Das Chocolate Moose Café war nichts Besonderes. Der vormalige Gemischtwarenladen mit Poststelle war zu einem Café mit Imbiss umgebaut worden und sah aus, als würde es gerade wieder einer Grundrenovierung unterzogen. Die Wände waren teils düsterblau, teils senfgelb gestrichen, der Rest bestand aus rotem Backstein, und Jillian war nicht sicher, ob es sich um Komplementärfarben handeln sollte oder ob dem Besitzer schlicht das Material ausgegangen war, so dass er auf irgendwelche Restbestände in der Garage zurückgreifen musste.
Was dem Chocolate Moose Café an Ambiente fehlte, machte
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